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Das Ende der niedrigen Zinsen?

Die Europäische Union hat ihre Institutionen gefestigt und wichtige Reformen zur Stärkung der Krisenresistenz auf den Weg gebracht. Die expansive EZB-Politik hat das Schlimmste verhindert.

Das Wachstum ist wieder da. Ist es nun Zeit für ein Ende niedriger Zinsen und quantitativer Lockerung? Es klingt so einfach. Niedrige Zinsen und leichter Kreditzugang sollen das Sparen eindämmen, den Konsum anregen, und die Investitionen in Wohnbau und Ausrüstung steigern.

Diese zunehmende Nachfrage soll einen raschen Aufschwung einleiten. Aber wie wirksam sind die niedrigen Zinsen? Investition und Ersparnis hängen auch von vielen anderen Faktoren ab. Je mehr sie das tun, desto geringer ist der Einfluss der Zinsen.

Wenn die Zinselastizität gering ist, dann braucht es umso grössere Anpassungen, um noch etwas auszurichten. Seit einiger Zeit sind die Zinsen sogar negativ.

Die Wirksamkeit niedriger Zinsen ist durchaus zweifelhaft. Wenn die Tragbarkeit der Schulden ausgereizt ist, helfen auch niedrige Zinsen nicht mehr, um kreditfinanzierte Ausgaben anzuregen.

In der digitalen Wirtschaft ist das Unternehmenswachstum immer öfter wissensintensiv und nicht kapitalintensiv, sodass die Finanzierungskosten weniger wichtig werden.

Billige Finanzierung löst zudem das Problem der Unternehmen nicht, dass sie für ihre Investitionen in erster Linie ein gutes Geschäftsmodell und einen Qualitätsvorsprung brauchen. Wenn diese «anderen Faktoren» stimmen, investieren sie auch bei höheren Zinsen.

Umverteilung und Fehlallokation

Auch die Haushalte nehmen bei niedrigen Zinsen ihre Ersparnisse nicht einfach mechanisch zurück. Viele Sparmotive sind zinsunabhängig (für das Alter, für die Ausbildung der Kinder, als Vorsorge, wenn die Unsicherheit zunimmt).

Es kommt sogar vor, dass bei niedrigen Zinsen mehr gespart wird, weil der Zinsertrag fehlt, um ein Sparziel leichter zu erreichen.

Niedrige Zinsen zeitigen zunehmend negative Folgen. Sie lösen unkontrollierte Umverteilung aus, nicht nur von Sparern zu Schuldnern.

Fallende Zinsen führen zu steigenden Preisen für Immobilien, zinstragende Wertpapiere wie Anleihen und für Aktien. Diejenigen, die in der Vergangenheit gespart haben, streichen grosse Vermögensgewinne ein und werden ohne Anstrengung reicher.

Die Niedrigzinspolitik dürfte erheblich den rasanten Anstieg der Börsenkurse und der Immobilienwerte genährt haben, mit der Folge, dass sich die Vermögensverteilung künstlich beim obersten 1% der Bevölkerung konzentriert.

Die neuen Sparer müssen dagegen viel Einkommen aufwenden, um die teuren Anlagen zu erwerben, die nachher wenig Zins abwerfen. Mit einem Ausstieg kehrt sich die Entwicklung um.

Niedrige Zinsen fördern den wachstumsschädlichen Fehleinsatz von Kapital. Sie lenken die Finanzierung auf kreditabhängige Branchen wie z. B. Immobilienwirtschaft und Fremdenverkehr und benachteiligen innovative und riskante Unternehmen, die sich im scharfen internationalen Wettbewerb behaupten müssen.

Diese brauchen risikotragendes Eigenkapital und relativ weniger Kredit. Aber die Risikoprämie, der Preis für die Risikobereitschaft, wird nicht billiger.

Niedrige Zinsen verbilligen die Kredite relativ zu risikotragendem Eigenkapital. Sie führen daher zu einer schleichenden Zunahme des Risikos, umso mehr, je erfolgreicher die Niedrigzinspolitik ist, d. h., je mehr sie kreditfinanzierte Investitionen anstösst.

Die Überschuldung nimmt zu. Steigende Vermögenspreise begünstigen den Kreditzugang, weil sie die Sicherstellung der Kredite erleichtern. Eine schlagartige Korrektur von Vermögenspreisen oder das Platzen einer Immobilienblase sind ein Auslöser von Finanzkrisen.

Wenn die Vermögenspreise plötzlich fallen, wird die Besicherung ungenügend, und der Anteil fauler Kredite steigt. Der übermässige Kreditzugang legt den Keim für nächste Krise.

Eine lang anhaltende Niedrigzinsphase nährt weitere Risiken im Finanzsystem. Private Investoren schichten ihre Portfolios in höher rentierende riskante Anlagen um, wenn die festverzinslichen Wertpapiere nichts mehr bringen. Sie gehen ins Risiko.

Umso verwundbarer werden sie, wenn die nächste Rezession kommt. Die Pensionskassen und die Lebensversicherer, die die Vermögen der Arbeitenden verwalten, haben das gleiche Problem.

Wenn sie mehr ins Risiko gehen, um noch ausreichend Ertrag zu erwirtschaften, werden sie verwundbarer, wenn die Vermögenswerte wieder fallen. Auch den Banken bekommen die niedrigen Zinsen nicht gut.

Sie drücken auf die Zinsspanne und damit auf die Profitabilität, die sie brauchen, um mehr Eigenkapital zu bilden und die Altlasten der Krise in Form von faulen Krediten und anderen Abschreibungen abzuarbeiten.

Wenn aber im Finanzsystem so viele Risiken aufgebaut werden, dann wird der Ausstieg umso schwieriger, je länger die Phase niedriger Zinsen andauert und je mehr Risiken sich ansammeln.

Die Banken haben dank strengerer Regulierung grössere Kapitalpolster und sind robuster, mit grossen Unterschieden zwischen den Ländern der Eurozone.

Sind Immobilienbesitzer, Unternehmen und Staaten vorbereitet? Haben die Privathaushalte genügend Eigenmittel angesammelt, damit Immobilienkredite nicht notleidend werden, wenn mit fallenden Preisen der Wert der Besicherung stark abnimmt? Haben überschuldete Unternehmen die Entlastung durch niedrigen Schuldendienst genutzt, um mehr Eigenkapital zu bilden, oder haben sie erst recht neue Kredite aufgenommen? Haben die Staaten ihre Schulden genügend abgebaut, um in der nächsten Krise Spielraum für neue Defizite zu haben und gegensteuern zu können? Zweifel sind möglich.

Ist der Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik zu früh, wenn viele Länder der Eurozone weiter verwundbar sind? Nicht nur die Real- und die Finanzwirtschaft, sondern auch die Europäische Zentralbank muss vorsorgen und rechtzeitig die Leitzinsen in kleinen Schritten anheben, damit sie für die nächste Rezession gerüstet ist.

Dann muss genug Spielraum da sein, damit sie wieder mit Zinssenkungen gegensteuern kann. An der Nullzinsgrenze ist dies nur mehr begrenzt möglich. Angesichts der europaweit guten Wirtschaftslage wäre jetzt ein Ausstieg in kleinen Schritten an der Zeit.

Überschuldung muss abgebaut werden

Einer neuen Finanz- und Wirtschaftskrise kann man nur vorbeugen, indem man Überschuldung abbaut. Um Spekulation und Überschwang zu unterbinden, müssen die Akteure  mit eigenem Geld einstehen, bevor sie fremdes Geld investieren.

Die Schuldentragfähigkeit hat Grenzen und darf nicht überstrapaziert werden. Die Privathaushalte müssen mehr Eigenmittel ansparen, bevor sie mit zusätzlicher Kreditfinanzierung ein Eigenheim erwerben. Unternehmen und Banken müssen Eigenkapital mit einbehaltenen Gewinnen ansparen oder von neuen Eigentümern holen, um das Vertrauen der Fremdkapitalgeber zu erhalten.

Der Staat darf sein «Eigenkapital», seine Steuerquellen, nicht überstrapazieren und muss die Verschuldung gering halten, damit er in der nächsten Krise als absolut unzweifelhafter Schuldner ein Hort der Stabilität bleibt, statt seine Gläubiger an den Rand der Existenz zu bringen.

Um nach der Finanzkrise wieder zu krisenrobustem Wachstum zu finden, braucht es an allen Fronten mehr risikotragende Eigenmittel und weniger Verschuldung. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Fremdkapital muss teurer und Eigenkapital billiger werden.

Der Staat sollte endlich die steuerliche Begünstigung der Verschuldung und die Benachteiligung des Eigenkapitals abschaffen. Und die Europäische Zentralbank sollte die Gunst der Stunde nutzen und die Leitzinsen wieder in kleinen Schritten anheben.