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Das Chamley-Judd-Theorem

Nach der Darstellung berühmter Theoreme und Gesetze der Volkswirtschaft, etwa des Modigliani-Miller-Theorems , des Say’schen Gesetzes oder der Quantitätstheorie des Geldes , verdient es auch ein bahnbrechendes Ergebnis der Steuerlehre, besser bekannt zu werden. Und zwar nicht zuletzt wegen seiner Relevanz für die aktuellen wirtschaftspolitischen Debatten rund um Unternehmens- und Vermögensbesteuerung.

Es ist unter dem Namen seiner Schöpfer bekannt: das Theorem von Chamley und Judd. Es besagt, dass in einer Volkswirtschaft, in der sich die gegenwärtigen Konsumenten um das Wohl ihrer Nachfahren sorgen, der optimale Steuersatz auf Kapitalerträge null beträgt. Mehr noch: Das Theorem zeigt, dass sich das verfügbare Einkommen der Lohnbezüger langfristig nicht erhöhen lässt, indem man die Kapitalerträge besteuert.

Kapitalerträge befreien

Ein Ergebnis dieser Tragweite verlangt einige Hintergrundinformationen. Die Frage, inwiefern Kapital oder Löhne besteuert werden sollten, beschäftigt Ökonomen seit eh und je. Weil Kapital nichts anderes als gespartes Einkommen ist, also aus bereits versteuertem Geld gebildet wird, setzten sich schon klassische Ökonomen wie John Stuart Mill für die Steuerbefreiung der Kapitalerträge ein. Gemäss Mill bevorzuge die Doppelbesteuerung des Kapitaleinkommens den gegenwärtigen Konsum (und die Verschuldung) auf Kosten des Sparens. Das sei «not only impolitic but unjust».

Allerdings verursacht die Alternative, die Besteuerung der Löhne, ebenfalls Verzerrungen: Sie schwächt beispielsweise den Anreiz, einer Arbeit nachzugehen. Welche dieser zwei Verzerrungen – die sparhemmende der Kapitalsteuern oder die arbeitshemmende der Lohnsteuern – ist aus volkswirtschaftlicher Sicht die schädlichere?

Hier setzen die 1985 separat veröffentlichten Arbeiten des Franzosen Christophe Chamley, heute Kollege von Thomas Piketty an der Paris School of Economics, und des Amerikaners Kenneth Judd von der Universität Stanford an. Ihre Artikel sind ausserhalb ihres Feldes wenig bekannt, nicht zuletzt wegen der darin enthaltenen komplexen Mathematik (wer hat schon Lust, das dynamische Optimierungsprogramm des repräsentativen Konsumenten unter Nebenbedingungen selbst nachzurechnen?). In den Finanzwissenschaften gehören sie allerdings zu den meistzitierten.

Der Grundgedanke des Chamley-Judd-Theorems ist simpel: Die Besteuerung von Kapitaleinkommen vermindert den Anreiz, Kapital zu bilden, das heisst zu sparen und in Maschinen oder Innovationen zu investieren. Daran sollten auch die Lohnempfänger kein Interesse haben, weil ein höherer Kapitalstock (mehr Maschinen) die Arbeitsproduktivität erhöht, und diese ist letztlich die wahre Quelle sämtlicher Lohnerhöhungen. Wegen des fehlenden Kapitalstocks werden also weniger Kapitalerträge generiert, ergo wird auch weniger reinvestiert. Ein Zinseszinseffekt entfällt, die Kapitalsteuer bremst das Wachstum.

Nicht so eine Lohnsteuer, die bloss statische negative Effekte in Form eines reduzierten Arbeitsangebots verursacht. Weil Chamley und Judd zudem annehmen, dass sich die heutigen Konsumenten nicht nur um ihren eigenen Wohlstand sorgen, sondern auch um denjenigen ihrer Nachkommen, folgt ohne weiteres, dass jede Form der Besteuerung des Kapitaleinkommens  abgelehnt werden muss. Das gilt auch für die Erbschaftssteuer, die über eine Volksinitiative auf Bundesebene eingeführt werden soll.

Im selben Boot

Selbstverständlich sind die Befunde von Chamley und Judd nicht unangefochten geblieben. Andere Ökonomen haben die Annahmen des Theorems hinterfragt, beispielsweise den unendlichen Optimierungshorizont. Doch das Theorem bleibt der Ausgangspunkt für jedes seriöse Nachdenken über das Pro und Kontra von Kapitalsteuern. Es suggeriert, dass das immer wieder beklagte weltweite Sinken der Unternehmenssteuersätze alles andere als eine verteilungspolitische Katastrophe darstellt.

Auch relativiert es die oft gehörte Aussage, dass es volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, Löhne und Kapitaleinkommen gleich zu besteuern. Und im Kern birgt es eine profunde Botschaft: dass Unternehmer und Arbeitnehmer schliesslich im selben Boot sitzen.