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Chinas riskante Einmannshow

Wer China als Tourist besucht oder im Reich der Mitte geschäftet, kann leicht übersehen, dass er es nach wie vor mit einem klassischen kommunistischen Einparteistaat zu tun hat. Die sozioökonomische Realität hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten so verändert und modernisiert, dass niemand auf den Gedanken kommen könnte, China sei in seinen Machtstrukturen mit der verblichenen Sowjetunion zu vergleichen.

Tatsache ist indessen, dass in einer kompetenten Risikoanalyse der historische Ballast der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) nicht unter den Tisch gewischt werden darf. In Tat und Wahrheit sind die systembedingten Achillesfersen seit der Machtkonsolidierung von Staats- und Parteichef Xi Jinping gar noch gefährlicher geworden.

Das Hauptproblem jeder Diktatur, ob es sich um faschistische Militärherrschaft oder um kommunistischen Totalitarismus handelt, ist die Nachfolgeregelung. Die Demokratie, mag sie noch so fehlerhaft sein, hat den riesigen Vorteil, dass dank den Mehrheitsverhältnissen an den Urnen und in den Parlamenten ein geordneter Machtwechsel legitimiert wird.

Gemäss offizieller Geschichtsschreibung ist in der Volksrepublik China derzeit die fünfte Führungsgeneration an den Schalthebeln der Macht. Die Stabübergabe von Hu Jintao an Xi Jinping 2012/13 verlief einigermassen reibungslos. Ebenso ging es bei der nach fünf Jahren notwendigen Bestätigung von Xi als Generalsekretär der KPC und Präsident der Volksrepublik scheinbar geordnet zu und her.

Ein Blick hinter die Kulissen wirft allerdings Fragen auf. Wir denken dabei an den tiefen Fall des maoistischen Populisten Bo Xilai oder an die Aufhebung der Amtszeitbeschränkung für das Amt des Staatspräsidenten, die von Xi am letzten Volkskongress durchgeboxt wurde. Beides ist – wie auch der rigorose Kampf gegen Korruption bis auf die höchsten Ebenen von Partei und Staat – im Kontext der Machtkonsolidierung von Xi Jinping zu sehen. Xi hat es geschafft, eine so grosse Ballung an Macht in seinen Händen zu halten, wie dies seit dem Tod Mao Zedongs 1976 niemandem gelungen ist.

Kein Rivale am Horizont

Apologeten von Xi Jinping verweisen auf den gefährlichen Reformstau während der Herrschaft von Xis Vorgänger Hu Jintao. Sie meinen damit natürlich nicht die politische Erstarrung, die einer sich der Modernisierung verschliessenden KPC anzulasten ist. Die auf die Neunzigerjahre und das nachfolgende Jahrzehnt fokussierte Kritik richtete sich gegen die krebsartige Ausbreitung der Korruption, das rapide wachsende Reichtumsgefälle, bürokratischen Schlendrian, Nepotismus und die Verschleppung durchgreifender Strukturreformen in einer durch wachsende Schulden belasteten Volkswirtschaft.

Der vierten Führungsgeneration der KPC wurden Lethargie und Klientelismus zum Vorwurf gemacht. Mit zahlreichen Rochaden unter den Spitzenkräften und einer lautstark verkündeten Korruptionsbekämpfung, die «Fliegen ebenso wie Tiger» anvisierte, verschaffte sich Xi Jinping in seiner ersten fünfjährigen Amtszeit so viel Achtung, dass sich niemand in den Weg zu stellen oder gar sich als künftige Alternative zu präsentieren vermochte.

Dies führte dazu, dass in dem im Herbst 2017 neu bestellten Ständigen Ausschuss des siebenköpfigen Politbüros alle Mitglieder – ausser Xi und Ministerpräsident Li Keqiang – ausgewechselt wurden und von den fünf Neuen niemand als Kronprinz für die 2022 eigentlich vorgesehene Machtablösung in Frage kommt. Derzeit stehen die Perspektiven, dass Xi sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht mit zwei Amtsperioden zufriedengeben wird, denn auch günstig.

Auf den ersten Blick scheint die bis weit ins nächste Jahrzehnt hineinreichende klare Befehlshierarchie in Partei und Staat etliche Vorzüge zu haben. Weder gibt es Ungewissheit, noch wird wertvolle Energie von nutzlosem Machtgerangel absorbiert. Chinesische und zahlreiche ausländische Experten verweisen kritisch auf die politische Instabilität, mit der mehrere etablierte Demokratien zu kämpfen haben.

Kaum sei eine Wahl über die Bühne gegangen, setzten bereits die Stellungskämpfe für den nächsten Urnengang ein. Nachdem er in seiner ersten fünfjährigen Amtszeit als Generalsekretär der KPC und Staatspräsident seine Macht konsolidiert hat, kann Xi nun seine zweite und möglicherweise gar dritte Amtszeit dazu benutzen, seine ambitiösen Modernisierungspläne zu realisieren. Nachdem über längere Zeit hinweg dringliche Reformen verschleppt worden sind, kann Xis Entschlossenheit nur zu begrüssen sein.

Doch die wirtschaftliche und soziale Modernisierung Chinas ist nicht die einzige Herausforderung, die in den kommenden Jahren angegangen werden muss. Besonders gefährlich sind die Umweltprobleme, mit denen China nach Jahrzehnten, die auf das Wirtschaftswachstum fokussiert waren, zu kämpfen hat.

Eine beschleunigte Verschlechterung der Lebensbedingungen und damit eine Reduktion der Lebenserwartung im Verein mit den Auswirkungen des Klimawandels besonders auf die Landwirtschaft gehören zu den potenziell gefährlichsten Ursachen für soziale Unrast im Reich der Mitte. Und vor nichts hat die chinesische Führung so grosse Angst wie vor breit gestreuten Unruhen.

Die dritte Front, an der sich Xi mit historischen Herausforderungen konfrontiert sieht, betrifft die Sicherheits- und die Aussenpolitik. Die Rückkehr Chinas in die Position einer Weltmacht, die auf Augenhöhe mit den USA verhandeln kann, ist zunächst einmal ein Anlass zu gerechtfertigter Genugtuung und verständlichem Stolz.

Damit ist das bittere Kapitel der Erniedrigung Chinas im 19. und grossen Teilen des 20. Jahrhunderts ein für allemal überwunden. Als Deng Xiaoping in den späten Siebzigerjahren mit den historischen Reformen begann, verordnete er, dass China seine Stärke nicht demonstrativ zur Schau stellen und dass es geduldig seine Zeit abwarten solle. Alles war darauf ausgerichtet, in der Nachbarschaft wie in der weiteren Welt nicht Unbehagen über ein erstarktes China aufkommen zu lassen.

Heikle Weltmachtrolle

In den vergangenen Jahren hat sich dies drastisch verändert. China kann und will seine Position als neue Weltmacht nicht mehr unter den Scheffel stellen. Besonders Südostasien hat dies mit der militärischen Expansion der Volksrepublik im Südchinesischen Meer deutlich zu spüren bekommen. Die Neupositionierung Chinas als Weltmacht ist eine delikate Aufgabe, die reichlich Gelegenheit zu Fehltritten gibt.

Auch wenn die wirtschaftliche und militärische Erstarkung Chinas beachtlich ist, kann dies nicht übertünchen, dass China in geopolitischer Hinsicht eine Reihe von Achillesfersen hat. Auf der andern Seite muss Xi angesichts eines erstarkten Nationalismus und Patriotismus darauf achten, dass unter seiner Führung nichts geschieht, was China auf der internationalen Bühne das Gesicht verlieren lässt. Dazu gehören besonders auch Entwicklungen in und um Taiwan und Hongkong.

Mit der Fülle seiner Mandate, die als wichtigstes Machtinstrument den Vorsitz der Zentralen Militärkommission umfasst, hat Xi ein gerüttelt Mass an Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Bei seiner absoluten Machtfülle bedeutet dies, dass von der Wirtschaft bis zur nationalen Sicherheit, von der Korruptionsbekämpfung bis zur Bewältigung der drängendsten ökologischen Probleme alle Verantwortung in letzter Instanz auf ihm ruht.

Es gibt, vielleicht von Ministerpräsident Li Keqiang und den höchsten Militärführern abgesehen, niemanden, auf den Xi Jinping die letzte Verantwortung abschieben kann. Noch nachdenklicher muss die derzeitige Einmannshow in Peking stimmen, wenn man bedenkt, dass Xi (65) – wie alle Menschen – sterblich und für Krankheiten anfällig ist. Das Fehlen einer klaren Nachfolgeregelung würde in einem Notfall wohl unweigerlich zu ausgedehnten und gefährlichen Machtkämpfen führen.