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Blick in die edle Schuhschachtel

Durch mehrere Stadien erhält der Schuh Patina und Finish.

Da hat der Luxuskonzern LVMH nicht gekleckert, als er 2012 von den Pariser Architekten Barthélémy-Griño die topmoderne Manufaktur für den Edelschuhhersteller Berluti bauen liess. Wie eine riesige Schuhbox aus Glas und Holz steht das rechteckige Gebäude auf dem weiten, grünen Gelände ausserhalb von Ferrara.

LVMH hat die Marke vor 25 Jahren ins Portfolio integriert, seit 2011 wird Berluti von Antoine Arnauld, dem Sohn des Konzern-Hauptaktionärs, geleitet. Geschätzte 150 Mio. € setzte die Marke vergangenes Jahr um, inklusive der Herrenmodelinie, um die das Sortiment 2011 erweitert wurde.

Wie eine riesige Schuhbox : 8000 m2 gross ist die Manufaktur, wo die Berluti-Schuhe in bis zu 250 Arbeitsgängen von Hand geschustert werden.

77 Berluti-Boutiquen

Die Manifattura vor Ferrara eröffnet vor drei Jahren, um die diversen Berluti-Ateliers unter ein Dach zu bringen, die vorher in der Stadt verstreut waren. Ur-italienisch alles, müsste man meinen. Doch eigentlich ist der Firmensitz an der 26, rue Marbeuf in Paris, wo sich der Flagshipstore des Unternehmens befindet und auch das Atelier der Bespoke-Produktion der exklusivsten und teuersten Schuhe des Hauses, nach Mass geschustert.

Stolz erwähnt man Kunden, die hier arbeiten liessen oder lassen: der Herzog von Windsor, Yul Brynner, Jean Cocteau, Robert De Niro, Andy Warhol, Gérard Depardieu… Inzwischen haben weltweit 77 Berluti-Boutiquen eröffnet, zwischen Abu Dhabi und Bejing, zwischen München, Milano und Moskau, von Beverly Hills bis Paris, wo Berluti gleich vier Mal vertreten ist.

Schweizer Schuh-Aficionados lässt Berluti noch auf eigene Boutiquen warten. «Es ist aber auf gutem Weg», vertröstet François Berthet, Direktor der Manifattura in Ferrara. In der Zwischenzeit begnügen sich Kunden hierzulande mit der Online-Boutique oder finden Teile des Berluti-Sortiments bei Tasoni in Zürich, Zug und Andermatt.

Berthet, der junge Manager aus Frankreich, von Haus aus Finanzfachmann, wurde in kurzer Zeit von der Leidenschaft für das alte Handwerk gepackt. Er führt die seltenen Besucher («Hier ist alles geheim wie ein gehütetes Kochrezept!») durch die verschiedenen, hellen Ateliers, kennt alle rund 60 Schuhmodelle und ihre unzähligen Varianten, die in mehr als 250 Arbeitsschritten hergestellt werden.

Weitgehend von Hand, notabene, von über 200 Mitarbeitern, allesamt Spezialisten ihres Fachs. Zum Teil wurden sie in der hauseigenen Academia ausgebildet, einer beruflichen Weiterbildung, mit der Berluti einen Beitrag zum Überleben alter Handwerkskunst leistet.

«Hier werden zwar nicht, wie im Bespoke-Atelier in Paris, Massschuhe hergestellt, aber dennoch zu 100% handgefertigte Kollektionen – Prêt-à-chausser», sagt Berthet und variiert damit den Begriff Prêt-à-porter aus der Mode. «Dieses Savoir-faire zu erhalten und weiterzugeben, ist eines unserer wichtigsten Anliegen.» Nicht ohne Eigennutz: Berluti sichert sich so auch hochqualifizierten Mitarbeiternachwuchs.

Handarbeit macht jeden Schuh zum Unikat.

«Wie eine Tätowierung am Menschen»

Die richtigen Leder zu finden und auszuwählen, ist Voraussetzung dieses Savoir-faire – und eine Herausforderung. «Nur besternährte Kälber können sie liefern», sagt Pierluca Patierno, der Leder-Einkaufschef bei Berluti. Er unterscheidet zwischen Winter- und Sommerleder, weil sich die Nahrung der Rinder je nach Saison ändert.

Mit geübter Hand fährt er über die gegerbten Häute, und mit noch geübterem Augen mustert er die Details ihrer Narbung. «Nur 1% der Leder, die wir sehen, taugt für unsere Venezia-Qualität.» Die besten Kalbshäute findet Patierno in Frankreich, Holland und der Schweiz. Sie werden zunächst weiss gegerbt, was erstaunt, und erhalten danach eine Farbe aufgesprayt.

Später, wenn flinke Hände die einzelnen Teile für einen Schuh nach Schnittmustern ausgeschnitten haben und sie zum Endprodukt zusammengenäht und auf die Sohle fixiert wurden, kommen die Künstler zum Zug. Mit routinierten, feinfühligen Handbewegungen wird die alte Grundfarbe abgewischt und eine neue aufgetragen. Je nach Modell und Ausführung elegante Schwarz- oder Brauntöne, auch mal leuchtendes Orange, sattes Blau oder Grün…

Und schliesslich erhält die Oberfläche als Berluti-typisches Finish eine subtil von den Nähten her aufgewischte Patina. Oder, noch exklusiver, ein veritables, individuell wählbares Tattoo, echt von Hand gestochen, «wie eine Tätowierung am Menschen», sagt François Berthet. Anderen Modellen wird, ebenfalls typisch für Berlutis Lederwaren, ein Scritto aufgeprägt – sieht aus wie eine alte Handschrift, nicht zu entziffern, aber dekorativ.

Kreiert hat das Design Olga Berluti, Enkelin des Firmengründers Alessandro. Die über 70-jährige Signora residiert noch immer in ihrem Atelier im Pariser Marais-Quartier.

Extrawünsche kosten

Klar, dass solche Extras ihren Preis haben. Der gut betuchten männlichen Klientel – Berluti stellt ausschliesslich Herrenschuhe her –, die für eine handgenähte Fussbekleidung aus Ferrara im günstigsten Fall um die 2000 Fr. aufwirft, aber gut und gerne auch das Doppelte, Drei- oder Vierfache, ist es das wert.

Ob in Venezia-Kalbsleder, in Krokodil (die Panzer stammen aus einer Zucht in Louisiana), aus Straussen- oder feinster Känguru-Haut gefertigt: Wer Berlutis Prêt-à-chausser wählt, will entweder diskret und ganz für sich selbst das Beste an den Füssen tragen. Oder gerne auch mal ausgefallenen Geschmack bis an die Zehenspitzen zur Schau stellen.

Von Hand wird die Musterung des Kroko-Leders akzentuiert.

Das ist gar nicht so weit entfernt von den Intentionen des Alessandro Berluti, der 1895 von Italien nach Frankreich auswanderte und in Paris sein Geschäft startete, um für eine italienische Theatertruppe Bühnenschuhe zu entwerfen und zu produzieren. «Die ganze Welt ist eine Bühne», schrieb schon Shakespeare in «Was ihr wollt». Oder, um es mit Italianità zu sagen: «Tutto nel mondo è burla» – «Alles ist Spass», wie Falstaff in Giuseppe Verdis Oper resümierte… zwei Jahre bevor Berluti seine Firma gründete.