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Berlin wagt etwas mehr Zentralismus

Wirtschaftsminister Peter Altmaier will mehr «nationale Champions» fördern.

Um zu verstehen, was der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier letzte Woche vorgelegt hat, lohnt ein kleiner Rückblick. Im August 2017 schrieb der gewerkschaftsnahe Ökonom Peter Bofinger einen Gastbeitrag in der «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» unter dem provozierenden Titel «Mehr Zentralismus wagen». Darin forderte er seine Landsleute auf, über eine aktivere Industriepolitik für Deutschland und Europa zu diskutieren. Im Blick hatte der Professor aus Würzburg dabei vor allem die globale Konkurrenz aus China und den USA.

Denn Chinas Staatsführung versuche ihr Land in den nächsten Jahren zu einer führenden Industrie- und Technologienation zu machen. Die Regierung lege dafür Hunderte Investitionsfonds auf und treibe Zusammenschlüsse grosser staatseigener Unternehmen im Eisenbahn- und Schiffbau voran. Auch in den USA seien die Kerntechnologien im Smartphone (Internet, GPS, Spracherkennung und Touchscreen) ursprünglich in staatlichen Forschungsprogrammen für militärische Zwecke entstanden, schreibt Bofinger.

«Liebe zum Markt»

Die Antwort seiner vier Kollegen im Sachverständigenrat der deutschen Bundesregierung (auch als «Wirtschaftsweise» bekannt) kam prompt: «Vertraut dem Markt» ist der Beitrag überschrieben. Darin greifen Lars Feld, Christoph Schmidt, Isabel Schnabel und Volker Wieland allerdings Bofinger heftig an, weil sie einige seiner Beispiele wenig treffend fanden: «Laien verwechselten häufig die Liebe von Ökonomen zum Markt mit einer Liebe zu einzelnen Marktakteuren.» Und ungewöhnlich direkt an Bofinger gerichtet: «Einem Profi sollte das nicht passieren.»

Die vier Ökonomen stehen nun auch in der vordersten Linie der Kritiker, nachdem CDU-Wirtschaftsminister Altmaier am Dienstag den Entwurf der «Strategischen Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik» vorgelegt hat. Der Minister fordert darin, dass der Staat stärker Innovationen (Batteriezellen, künstliche Intelligenz) fördern und notfalls feindliche Übernahmen bedeutender Technologieunternehmen verhindern solle. Das Überleben von Konzernen wie Siemens, ThyssenKrupp oder Autoherstellern liege im nationalen Interesse, sagte der Christdemokrat. So sei denkbar, dass der Staat notfalls mit einem Beteiligungsfonds feindliche Übernahmen verhindere.

Hintergrund sind einige spektakuläre Übernahmen deutscher Unternehmen durch Chinesen: Dazu zählt das Technologieunternehmen Kuka im Jahr 2016 oder der Einstieg von Geely Auto aus China bei Daimler mit einem 10%-Anteil (9 Mrd. $) im vergangenen Jahr. Seit 2005 haben chinesische Unternehmen allerdings nur eine Summe von 41 Mrd. $ in Deutschland investiert, wie aus einer Datenbank der US-Denkfabriken The American Enterprise Institute und The Heritage Foundation hervorgeht. Das sind gerade einmal 12% aller chinesischen Investitionen in Europa, allein die Schweiz kommt mit 60 Mrd. $ auf einen Anteil von 18%.

Zugleich verbot die EU-Kommission letzte Woche die Fusion der Bahnsparten von Siemens und Alstom, mit der ein Riesenkonzern nach dem Vorbild von Airbus entstehen sollte. Damit wollten Deutschland und Frankreich zu dem aus einem Zusammenschluss chinesischer Staatskonzernen entstandenen Weltmarktführer CRRC aufschliessen, der heute bereits ein Drittel mehr umsetzt, als beide Bahnsparten aus Europa zusammen. Der deutsche und der französische Wirtschaftsminister forderten daraufhin, das Wettbewerbsrecht in der EU zu ändern.

Einer der Kritiker aus dem Sachverständigenrat, Lars Feld, bringt seine Bedenken am Konzept des Wirtschaftsministers auf den Punkt: «Das ist bestenfalls französische Wirtschaftstradition, schlechterdings Planwirtschaft. Mit Ludwig Erhards Sozialer Marktwirtschaft hat es nicht das Geringste zu tun.» Schwierig sei vor allem, dass grosse Konzerne eine Bestandgarantie erhalten würden. Kritik kam auch von der liberalen FDP, denen die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten zu weit gehen. Grüne und Die Linke fürchten, dass Konzerne zu viel Macht bekommen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie, der vor allem die Interessen der Grosskonzerne vertritt, erkennt dagegen diskussionswürdige Vorschläge. Im Deutschlandfunk hielt Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des mittelständischen Verbands Die Familienunternehmer, entgegen: «Es ist leider so, dass Deutschland sehr stark fokussiert ist auf das Wohlergehen der grossen Unternehmen, der Konzerne.» Eben-Worlée forderte Erleichterungen für Start-ups und Mittelständler, die Forschung betrieben. Die Bundesregierung müsse zudem in Infrastruktur und Netzausbau investieren.

Auf den Spuren Trumps

Ungewöhnlich ist die Kritik von Jeromin Zettelmeyer, dem ehemaligen Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik in Altmaiers Ministerium, der das Ressort von 2014 bis 2016 unter dem Sozialdemokraten Sigmar Gabriel geleitet hatte. «Es ist ein katastrophales Dokument», schreibt Zettelmeyer auf Twitter, das ihn an Trumps Protektionismus erinnere. Die Festschreibung eines Industrieanteils von 25% im Jahr 2030 sei zudem ein Wahnsinn. 2018 kam das verarbeitende Gewerbe in Deutschland auf 23,2% – das war etwas mehr als der Durchschnitt von 1995 bis 2018.

Für die deutsche Industrie sei wichtig, dass sie gerade durch ihre Beteiligung an internationalen Wertschöpfungsketten wettbewerbsfähig ist, schreibt Zettelmeyer. «Die Idee, dass erfolgreicher Wettbewerb auf Weltmärkten zunehmend gigantische Unternehmen erfordert, entbehrt jeder empirischen Grundlage.» Zudem könne die «nationale Beteiligungsfazilität» leicht zu einem Instrument für die Rettung schwächelnder, aber politisch einflussreicher Unternehmen werden, die zu Übernahmezielen geworden sind.

Altmaiers Konzept mag bislang noch nicht viele im Nachbarland überzeugen, aber eins hat Peter Bofinger schon einmal erreicht: Die Deutschen diskutieren darüber, wie eine aktivere Industriepolitik im globalen Wettbewerb aussehen könnte. Und das wohl noch eine Weile.