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«Banken immer noch too big to fail»

Thomas Jordan sagt, dass nicht alle Banken auf dem Weg zu den neuen Anforderungen gleich weit sind.

Gerät eine Grossbank in Schieflage, ist es auch fünf Jahre nach Lehman weiterhin schwierig, sie abzuwickeln, d. h. zu restrukturieren oder in den Konkurs zu schicken. Falls sich dieses Problem nicht lösen lasse, müsse das Eigenkapital nochmals erhöht werden, sagt Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Das Interview wurde schriftlich geführt.

Herr Jordan, ist das globale Finanzsystem heute sicherer als vor fünf Jahren? - Insgesamt hat man beachtliche Fortschritte erzielt, wir sind aber noch nicht am Ziel. Im Rahmen der Regulierung Basel III, die einen internationalen Standard setzt, sind die minimalen Anforderungen für das Eigenkapital der Banken sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht deutlich erhöht worden. Zudem wurden international zum ersten Mal Liquiditätsanforderungen eingeführt. Allerdings wurde diese Einigung mit langen Übergangsfristen erkauft. Nicht alle Banken sind auf dem Weg zu den neuen Anforderungen gleich weit.

Was bleibt zu tun? - Zum einen müssen die Banken die neuen Anforderungen an Kapital und Liquidität vollständig umsetzen. Zum andern muss die ordentliche Abwicklung global tätiger Banken ermöglicht werden. Da gibt es grosse Defizite. Vor allem die grenzüberschreitenden Aspekte sind nicht gelöst.

Liesse sich im Notfall eine insolvente ­Grossbank heute besser isolieren und ­abwickeln als vor fünf Jahren? - Die Banken haben zusammen mit den Aufsichtsbehörden Notfallpläne ausgearbeitet, deren Funktionieren aber noch nicht sichergestellt ist. Vor allem die grenzüberschreitenden Aspekte bei der Abwicklung einer Grossbank sind noch nicht gelöst. Dies beträfe etwa die Anerkennung von Entscheiden der schweizerischen Aufsichtsbehörde im Ausland bei der Abwicklung einer Schweizer Grossbank.

Könnte eine Grossbank untergehen, ohne dass ihr Heimatstaat sie retten muss? - Die ordentliche Abwicklung einer global tätigen Grossbank ist heute wohl noch nicht möglich. Daher müsste weiterhin zwischen den hohen volkswirtschaftlichen Kosten eines ungeordneten Konkurses und den Kosten staatlicher Hilfe abgewogen werden. Das Too-big-to-fail-­Pro­blem ist noch nicht vollständig gelöst.

Geht Basel III weit genug, um die Robustheit des Finanzsystems zu erhöhen? - Basel III setzt Mindeststandards für alle Banken. Es ist ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Für systemrelevante Banken wird ferner über Basel III hinaus ein zusätzlicher Eigenmittelzuschlag – eine Capital Surcharge – verlangt. Auch das ist ein Mindeststandard. Zudem ist die Too-big-to-fail-Problematik nicht für jedes Land gleich gravierend. Die Schweiz hat denn auch sehr früh strengere Normen für ihre systemrelevanten Banken eingeführt. Auch andere Länder wollen in der Zwischenzeit etwas weiter gehen, als es die Mindestanforderungen vorsehen.

Kritiker wie Martin Hellwig und Anat Admati argumentieren, es seien deutlich höhere Eigenkapitalquoten nötig: über 10%. - Falls die ordentliche Abwicklung international tätiger Banken nicht Realität werden sollte, wird man sicher auf die Frage der angemessenen Kapitalisierung zurückkommen müssen. Denn die Lösung des Too-big-to-fail-Problems basiert zurzeit auf den beiden Eckpfeilern «höhere Puffer», um eine Krise zu vermeiden, und «ordentliche Abwicklung», um die Kosten zu reduzieren, falls doch eine Bank in Insolvenzgefahr geriete. Wenn die Abwicklung nicht möglich wird, müssen die Puffer entsprechend erhöht werden. Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Ein solcher Puffer könnte mit einem grossen Betrag von Bail-in-fähigen Bonds oder von Coco Bonds gebildet werden.

Kritiker wie Andrew Haldane von der Bank of England halten es für falsch, den Banken die Risikogewichtung ihrer Anlagen nach eigenen Modellen zu erlauben. - Grundsätzlich ist die Risikogewichtung der Aktiven ökonomisch sinnvoll. Wir haben aber in unserem letzten Finanzstabilitätsbericht deutlich darauf hingewiesen, dass der zurzeit praktizierte Ansatz Schwächen aufweist. Die zur Berechnung verwendeten Modelle sind sehr komplex und können sich stark von einer Bank zur anderen unterscheiden. Der Markt kann die Berechnungen nicht verlässlich nachvollziehen, was die Einschätzung der Widerstandskraft einer Bank erschwert. Die Glaubwürdigkeit der Risikogewichtung muss unbedingt erhöht werden.

Wie wird die Risikogewichtung verlässlich? - Wir empfehlen, neben den bankinternen Modellen die risikogewichteten Aktiven auch nach einem Standardansatz zu berechnen und zu publizieren. Dieser Ansatz hat zwar ebenfalls Schwächen, er liefert aber einen zusätzlichen Anhaltspunkt für das Niveau sowie die Entwicklung der Widerstandskraft und ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit zwischen Banken, weil er weitgehend unabhängig von bankspezifischen Annahmen ist.

In den USA wird eine ungewichtete Eigenkapitalquote – Leverage Ratio – von 5 bis 6% diskutiert, für UBS und Credit Suisse liegt sie gegenwärtig unter 3%. - Die Leverage Ratio ist eine wichtige, ergänzende Kennzahl für die Messung der Widerstandskraft einer Bank. Als solche wird sie auch als Teil von Basel III weltweit eingeführt. Auch wegen des wachsenden Unbehagens gegenüber den risikogewichteten Kapitalquoten nimmt ihre Bedeutung laufend zu. Auf einem vernünftigen Niveau festgelegt, lässt sie sich sozusagen als Schutz gegen Fehlberechnungen der risikogewichtigen Aktiven verstehen.

Was sollten UBS und CS tun? - Wir haben unseren zwei Grossbanken im letzten Finanzstabilitätsbericht empfohlen, die Leverage Ratio zu erhöhen. Für internationale Vergleiche ist es wichtig, dass vom gleichen Rechnungslegungsstandard ausgegangen wird. Die buchhalterische Behandlung von Aktiven kann einen massiven Einfluss auf die Grösse einer Bilanz und somit auf die Leverage Ratio haben.

Wäre eine Trennung von Investment- und Retailbank, ähnlich dem Glass-Steagall Act in den USA bis 1999, nicht besser? - Ich glaube nicht, denn ein System mit Universalbanken kann prinzipiell genauso stabil sein wie ein Trennbankensystem. In der Schweiz verfolgen wir deshalb die Politik, dass sich die Behörden nicht in die Geschäftsmodelle der Banken einmischen sollten. Solange die Banken über ausreichend hohe Eigenmittel und eine abwickelbare Struktur verfügen, können sie ihre bevorzugte Geschäftsstrategie selbst wählen. Zentral ist, dass die Anreize durch die Regulierung richtig gesetzt werden: je höher das Risiko, desto grösser auch das erforderliche Eigenkapital. Es ist dann den Banken überlassen, das aus ihrer Sicht richtige Geschäftsmodell zu bestimmen.

Wie steht die Schweiz da im internatio­nalen Vergleich; haben wir genug getan? - Die Schweiz hat gesetzgeberisch rascher gehandelt und mehr getan als die meisten anderen Länder. Jetzt geht es darum, dass die Banken die entsprechenden Anforderungen konsequent und zügig umsetzen. Ob weitere Massnahmen notwendig sein werden, hängt vor allem davon ab, ob das Ziel einer ordentlichen Abwicklung internationaler Grossbanken erreicht wird.

Welche Länder sind im Hintertreffen? - Ich möchte da lieber keine Noten ver­teilen. Das Financial Stability Board in ­Basel prüft regelmässig, inwiefern die Mitgliedländer die international vereinbarten Massnahmen umsetzen, und es veröffentlicht seine Einschätzungen.

In Ihrer Einschätzung: Haben Regulatoren und Notenbanken das Optimum unternommen, um das Risiko einer weiteren grossen Finanzkrise zu minimieren? - Ein Optimum ist vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Interessen wohl nie erreichbar. Immerhin haben wir heute einen koordinierten internationalen Ansatz in den wichtigsten regulatorischen Bereichen. Ich hätte beispielsweise lieber etwas kürzere Übergangsfristen gesehen. Denn eine allfällige nächste Krise wird sich nicht an solche Übergangsfristen halten.

In Anbetracht des Zustands des globalen Finanzsystems: Schlafen Sie nachts gut? - Es gibt immer noch Schwachstellen. Viele Banken im Euroraum sind zu wenig robust, um ihre Funktion der Kreditgewährung im volkswirtschaftlich gewünschten Umfang zu erfüllen. Das Durchbrechen des Teufelskreises schwache Wirtschaft – schwache Banken – hohe Staatsverschuldung ist ausgesprochen schwierig und verzögert die nötigen Anpassungen.

Lässt sich die Grenze zwischen Illiquidität und Insolvenz einer Bank stets ziehen? - Bei Banken ist diese Grenze grundsätzlich schwierig zu ziehen. Denn aufgrund ihrer Kerntätigkeit der Fristentransformation – kurzfristige Einlagen in langfristige, illiquide Kredite zu investieren – sind die Banken einem inhärenten Liquiditätsrisiko ausgesetzt. Solange nur wenige Einleger ihr Geld zurückverlangen, ist die Bank liquid. Sobald zu viele Einleger ihr Geld abziehen, wird sie illiquid. In Krisensituationen können durch einen Rückzug der Einlagen Zweifel an der Qualität der Kredite aufkommen. Dies kann Zahlungsunfähigkeit provozieren, selbst wenn eine Bank zu Fortführungswerten bewertet keineswegs überschuldet wäre. Umgekehrt kann in einer Krisensituation die Qualität der Aktiven oft nur schwer bestimmt werden, und die Marktpreise können sich in kurzer Zeit dramatisch verschlechtern. Dies erschwert die Beurteilung der Solvenz einer Bank.

War die UBS im Oktober 2008 insolvent, und hätte die Nationalbank die UBS nicht gerettet, wenn der Bund kein Eigenkapital eingeschossen hätte? - Der Markt hatte damals erhebliche Zweifel an der Solvenz der UBS, was unter anderem zu einem erhöhten Liquiditätsbedarf der Bank führte. Daher war es wichtig, dass im Rahmen des Massnahmenpakets nicht nur die SNB Liquiditätshilfe gewährte, sondern dass der Bund mit seiner Kapitalerhöhung auch die Zweifel an der Solvenz ausgeräumt hat. Das war für die SNB ganz entscheidend.

Wäre es ordnungspolitisch sinnvoll, eine insolvente Bank in den Konkurs zu schicken, auch wenn dadurch die Stabilität des Finanzsystems bedroht wäre? - Es ist in erster Linie eine Güterabwägung zwischen den volkswirtschaftlichen Kosten eines Konkurses einerseits und den Kosten staatlicher Hilfe andererseits. Wenn durch einen solchen Konkurs die Finanzstabilität bedroht und damit die Volkswirtschaft in den Abgrund gerissen wird, so dürften die volkswirtschaftlichen Kosten zu gross werden, selbst wenn durch die staatliche Rettung ein Moral-Hazard-Problem geschaffen wird. Aus genau diesem Grund ist es ja so wichtig, dass die Too-big-to-fail-Problematik gelöst werden kann. In Zukunft müssen auch grosse Banken abgewickelt werden können, und zwar so, dass dadurch die Finanzstabilität nicht gefährdet wird.

Was sind die wichtigsten Lehren aus der Finanzkrise für die SNB? - Zwei Dinge: Erstens muss das Finanzsystem in Zukunft mithilfe von grösseren Kapital- und Liquiditätspuffern widerstandsfähiger werden. Wenn Banken trotzdem in Schwierigkeiten geraten, sollen sie ordentlich abgewickelt oder restrukturiert werden können.

Und darüber hinaus? - Zweitens mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Gewährleistung der Preisstabilität und die mikroprudenzielle Aufsicht zusammen kein Garant für Finanzstabilität sind. Es braucht zusätzlich eine makroprudenzielle Politik. Die Nationalbank hat gemäss Gesetz den Auftrag, zur Finanzstabilität beizutragen, und es hat sich gezeigt, dass Warnen allein oft nicht ausreicht. Die Nationalbank hat sich daher auch dafür eingesetzt, dass sie ein griffigeres präventives Instrument erhält.

Neue Instrumente setzen die Noten­banken seit Beginn der Krise ein, zudem weichen sie Bedingungen auf, etwa für pfandgesicherte Kredite an Banken. Bleibt das so? - Was die Geldpolitik angeht, gehe ich davon aus, dass es sich um temporäre Massnahmen handelt, die nach einer Normalisierung der Lage rückgängig ­gemacht werden. Wie schnell dies der Fall sein wird, ist aber noch offen. In der Schweiz sind die Anforderungen an das Collateral für Kredite an Banken nicht verwässert worden. Vielmehr werden die Wertpapiere, die das nötige Rating verloren haben, von der SNB nicht mehr als Sicherheiten akzeptiert.

Welche Rolle spielen makroprudenzielle Massnahmen, etwa der antizyklische Kapitalpuffer für Hypothekarkreditgeber? - Makroprudenzielle Massnahmen werden auch längerfristig eine wichtige Rolle spielen. Sie sollen dazu beitragen, das Risiko von Fehlentwicklungen und deren potenzielle Folgen für die Stabilität des Bankensektors zu reduzieren. Beim antizyklischen Kapitalpuffer geht es in erster Linie um die Stärkung der Widerstandskraft des Schweizer Bankensektors und in zweiter Linie um die Dämpfung des Kreditzyklus.

Bereitet es Ihnen Sorgen, dass die ­Notenbanken in der Krisenbewältigung eine derart zentrale Rolle einnehmen? - Ja. Das dezidierte und erfolgreiche Handeln der Zentralbanken hat zwar grösseren Schaden vermeiden können. Aber gleichzeitig wurde in einigen Ländern dadurch der Druck zu strukturellen Anpassungen reduziert. Dies birgt das Risiko, dass notwendige Reformen zu wenig weit gehen und man sich zu sehr auf ein erneutes Eingreifen der Zentralbanken verlässt. In der Schweiz sind glücklicherweise die Probleme kleiner, dank einer soliden staatlichen Haushaltspolitik und einer leistungsfähigen Privatwirtschaft. Unsere Mindestkurspolitik musste ja nicht wegen der Schwäche, sondern wegen der Stärke des Frankens als Folge seiner Funktion als sicherer Hafen eingeführt werden.

Seit gut zwei Jahrzehnten reagieren die Notenbanken auf Finanzkrisen mit dem Öffnen der geldpolitischen Schleusen. Führt das nicht immer wieder zu neuen Spekulationsblasen? - Im Moment ist diese Gefahr begrenzt. Aber das Problem unerwünschter Ne­benwirkungen muss gut im Auge behalten werden. Insbesondere ist es wichtig, dass die Zentralbanken der wichtigsten Länder dem Erhalt der Preisstabilität weiterhin die nötige Beachtung schenken.