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«Banken halten uns in Geiselhaft»

Laut der US-Ökonomin Anat Admati, «sieht es vor allem gefährlich für die Banken in Europa aus, da sich diese nie wirklich von der Lehman-Krise erholt haben.»

Der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers hat deutlich gemacht, welch kolossalen Schaden ein instabiles Finanzsystem in der Realwirtschaft verursachen kann. Das Risiko eines erneuten Bankenkrachs habe sich seither nicht verringert, sagt Anat Admati. Die renommierte Ökonomin hält es für ­illusorisch, dass ein taumelnder Finanzkoloss heute ohne gravierende Folge­schäden abgewickelt werden kann. Auch ein halbes Jahrzehnt nach dem Lehman-Crash seien wir den Grossbanken damit ausgeliefert. Sie fordert daher wesentlich strengere Eigenkapitalvorschriften, damit der Finanzsektor besser auf ein erneutes Beben vorbereitet ist.

Frau Professor Admati, seit dem Lehman-­Kollaps sind fünf Jahre vergangen. Sind die grossen Banken inzwischen besser gegen eine Krise gewappnet? - Oberflächlich betrachtet könnte man zwar meinen, das Finanzsystem habe sich stabilisiert. Tatsächlich ist die Situation aber kaum viel sicherer als 2008. Gefährlich sieht es vor allem in Europa aus, wo sich die Banken nie wirklich von der Lehman-­Krise erholt haben und dann in neue ­Probleme geraten sind. Auch in den USA ist das Risiko im Finanzsektor nach wie vor beängstigend, zumal Banken wie J. P. Morgan Chase oder Bank of America noch grösser geworden sind. Gerät ein solcher Koloss ins Wanken, wird das System abermals schwer unter Stress kommen.

Inzwischen sind aber Schutzmechanismen installiert worden, um eine wankende Grossbank im Ernstfall abzuwickeln. ­J.-P.-Morgan-Chef Jamie Dimon und andere Branchenexponenten versichern, dass es daher künftig keine Steuergelder mehr zur Rettung brauche. - Das ist eine Illusion. Finanzriesen wie J. P. Morgan sind rund um den Globus aktiv, weshalb eine geordnete Abwicklung bei den gegenwärtigen juristischen Regeln praktisch unmöglich ist. Dieses Problem hat sich bereits bei Lehman gezeigt. Ein solcher Prozess ist zudem hochpolitisch. Ob die Verantwortungsträger im Notfall tatsächlich den Mut dazu aufbringen, ist daher fraglich. Auch ist das Grundproblem nicht gelöst: Nur schon die Angst, dass ein Finanzriese zusammenbrechen könnte, setzt das System enorm unter Druck. Die Grossbanken halten uns weiterhin in Geiselhaft.

Was meinen Sie damit? - Wenn neue Risse im Finanzsystem aufbrechen, werden wir den Banken erneut ausgeliefert sein. Wie vor fünf Jahren haben wir dann keine andere Wahl, als sie zu retten. Denn wenn wir sie fallen lassen, entsteht ein gravierender Schaden in der Wirtschaft. Aus dieser Geiselsituation könnten wir uns aber schnell befreien, wenn wir diejenigen Grossbanken, die nicht überlebensfähig sind, identifizieren und stilllegen würden.

Investoren sind dem Finanzsektor aber ­wieder freundlicher gesinnt. Aktien von ­US-Grossbanken sind seit letztem Herbst deutlich avanciert, und selbst in Europa kehrt das Interesse an Finanztiteln zurück. - Im Aktienkurs spiegelt sich nur teilweise, wie gesund ein Finanzinstitut ist. Die Banken geniessen noch immer eine indirekte Staatsgarantie. Sie können sich dadurch übermässig verschulden, um ihre Gewinnchancen zu erhöhen. Läuft alles rund, geht es ihnen sehr gut. De facto setzen sie uns aber einem enormen Risiko aus. Es ist wie beim Autofahren: Wenn man rast, geht eine Zeit lang alles gut, bis es zum Unfall kommt. Noch kurz vor dem Lehman-Crash haben die Grossbanken Rekordgewinne geschrieben und selbst 2008 grosse Summen an das Management und die Aktionäre ausgeschüttet. Entsprechend schlecht waren sie auf die Krise vorbereitet. Ich fürchte, dass wir den gleichen Fehler jetzt erneut machen.

Damals in Not geratene Finanzkolosse wie AIG, Citigroup oder UBS haben die Staatsgelder allerdings zurückgezahlt. Es heisst sogar, dass die Rettungsaktionen für den Steuerzahler ein gutes Geschäft waren. - Das ist eine perverse Argumentation. Es wird dabei nur ein Teil des Bildes betrachtet. AIG zum Beispiel konnte die Staats­gelder vor allem deshalb zurückzahlen, weil sich die geretteten Geschäftsbereiche sehr billig unter Marktzinsen finanzieren konnten. Auch wären wohl noch weitere Banken wie Lehman in Konkurs gegangen, wenn der Staat AIG nicht gestützt hätte. Das Argument vom guten Geschäft ist auch deshalb schon falsch, weil es die katastrophalen Folgeschäden ausklammert, die in der Gesamtwirtschaft durch die Finanzkrise verursacht worden sind. Umso unverständlicher ist es, dass wir die Banken weiterhin subventionieren.

Auch in anderen Sektoren werden ­bewusst nationale Champions gefördert. Warum soll die Subvention der Banken da so problematisch sein? - Es ist ein Teufelkreis: Die implizite Garantie, dass der Staat eine Grossbank im Notfall rettet, gibt ihr einen Anreiz, sich immer mehr zu verschulden und grosse Risiken einzugehen. Damit wächst wiederum die Gefahr, dass wir sie stützen müssen, wenn das Finanzsystem unter Stress kommt. Am Ende dürfen wir dann auch noch teuer dafür zahlen, wenn es tatsächlich zum Kollaps kommt. Das ist so, wie wenn man einem Umweltverschmutzer Geld ­dafür geben würde, die Luft oder das ­Wasser zu verpesten.

Gibt es auch Aspekte, die sich seit dem Lehman-Crash verbessert haben? - Erfreulich ist, dass sich die breite Öffentlichkeit der Probleme im Finanzsektor heute mehr bewusst ist. Andererseits besteht aber die Gefahr, dass man die Vergangenheit nach einer gewissen Zeit vergessen will und einfach hofft, dass nun ­alles in Ordnung sei. Auch Anfang 2007 bekräftigten Banken wie Lehman Brothers oder Bear Stearns, es gehe ihnen grossartig. Wir dürfen uns aber nicht von den Zyklen im Finanzsektor täuschen lassen. Im Moment ist es zwar etwas ruhiger, und die meisten Banken schreiben wieder Gewinn. Reformen, um das System stabiler zu machen, kommen jedoch kaum voran.

Warum? - Zwischen Banken und Staat besteht seit jeher eine enge Symbiose: Die Politik spielt im Finanzsektor eine zentrale Rolle, und umgekehrt. Es geben zwar auch andere Branchen viel Geld für Lobbyarbeit aus, um sich Subventionen zu sichern und strengere Regulationen zu verwässern. Die Banken sind darin aber besonders ­erfolgreich. Das hat damit zu tun, dass die Risiken im Finanzsektor meist sehr abstrakt sind und viel Konfusion herrscht. Das macht es den Banken leicht, ihre Interessen durchzusetzen.

Wieso haben die Banken denn noch ­immer so grosse Macht? - Banken kontrollieren das Geld. Überall auf der Welt versuchen die Politiker ihnen deshalb zu sagen, was sie mit ihren Mitteln machen sollen. In Europa steht dabei die Finanzierung der Staaten im Vordergrund, während es in den USA oft um die Finanzierung von Wahlkampagnen geht. Im Gegenzug dafür werden der Finanzbranche viele Freiheiten eingeräumt. ­Zudem gibt es einen ausgeprägten Drehtüreneffekt. Das heisst, zwischen Politik, Regulatoren und Banken gibt es häufig personellen Austausch.

Die Schweiz erlegt den Banken ­strengere Vorschriften als andere ­Länder auf. Reicht das? - Die Schweiz wird davon profitieren, wenn die Verschuldung und damit das Risiko im Finanzsektor reduziert werden. Es ist deshalb klug von der Schweizerischen Nationalbank, dass sie den Grossbanken mit dem sogenannten Swiss Finish strengere Vorschriften zum Eigenkapital auferlegt. Etwas unbehaglich ist mir jedoch die starke Fokussierung auf in Eigenkapital wandelbare Bankanleihen, auch Coco genannt. In der Nähe des Wandlungspunktes werden sie sich als Quelle von Risiken erweisen. Bei echtem Eigenkapital gibt es dieses Problem nicht.

Was hat eine härtere Regulierung für Auswirkungen auf die Wirtschaft? Die Banken wenden etwa ein, dass Eigenkapital teuer sei und dieses Geld dann für Kredite an ­Unternehmen und Haushalte fehle. - Das ist blanker Unsinn. Die Banken wiederholen dieses Argument immer wieder in der Hoffnung, dass es dann für wahr gehalten wird. Wie viel Eigenkapital eine Bank besitzt, hat nichts mit der Kreditvergabe zu tun. Was soll daran schlecht für die Wirtschaft sein, wenn ein Finanzinstitut seinen Gewinn zurückbehält, seine Eigenmittel aufstockt und damit weniger anfällig für Verluste wird? Verfügt eine Bank über eine robuste Bilanz und kann so gut funktionieren, nützt das der Wirtschaft.

Es wird aber auch gewarnt, dass zu strenge Auflagen die internationale ­Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes mindern könnten. - Das ist ebenfalls ein schwaches Argument. Es spielt doch keine Rolle, wie viel Gewinn die Banken machen können, wenn sie mit ihrem riskanten Verhalten die gesamte Wirtschaft gefährden. Auch hier verhält es sich wie bei der Umweltverschmutzung: Es ist unsinnig die Regeln zu lockern, nur weil ein anderes Land weniger strenge Umweltvorschriften hat. Länder wie die Schweiz oder Schweden sind ein gutes Beispiel. Sie haben die Gefahren im Finanzsektor erkannt und handeln entsprechend. In anderen Staaten wie Grossbritannien und zum Teil auch in den USA ­haben die Banken hingegen mit solchen Argumenten mehr Erfolg.

Gerade in den USA haben die ­wich­tigsten Regulatoren im Sommer ­jedoch strengere Vorschriften postuliert, gemäss denen Banken künftig mindestens 5% Eigenkapital halten müssen. Nützt das nichts? - Es ist wohl ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch lange nicht gut genug. Wir müssen sicherstellen, dass die Risiken im Finanzsystem transparent und die Banken besser gegen Verluste ­gewappnet sind. Ich denke deshalb an eine Eigenkapitalquote von 20 bis 30%, was in anderen Branchen vollkommen normal ist. Auch lassen sich diese Massnahmen sofort umsetzen. Ein halbes Jahrzehnt nach dem Kollaps von Lehman ­Brothers ist ein guter Zeitpunkt, nochmals zurückzublicken, aus den Fehlern der vergan­genen Jahre zu lernen und es nun richtig zu machen.