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Aufgefallen in… Run

Von der nervösen Geschäftigkeit an Wallstreet ist auf dem zweihundert Meter langen Hauptweg von Run nichts zu spüren. Das tagtägliche Einerlei auf der automobilfreien Insel im äusseren Osten des indonesischen Archipels wird lediglich kurz unterbrochen, wenn am Morgen Fischerboote mit ihren nächtlichen Fängen an den Strand gezogen werden.

Hier war es aber nicht immer so ruhig. Im 17. Jahrhundert befand sich die kleine Insel zeitweise im Zentrum eines globalen Wirtschaftskriegs. Nur standen sich damals nicht wie heute die USA und China gegenüber, sondern die Niederländische und die Britische Ostindien-Kompanie. Der zwischen den quasi-staatlichen Akteuren ausgetragene Konflikt verbindet die Namen Manhattans und der gerade einmal drei Kilometer langen und 900 Meter breiten Insel im Osten des indonesischen Archipels bis heute.

Unvergessen bleibt Run nicht in erster Linie wegen der vor seiner Küste ausgetragen Seegefechten, sondern weil es zusammen mit Manhattan der Gegenstand des – abhängig vom Blickwinkel – wohl besten oder schlechtesten Immobiliendeals aller Zeiten war. Denn Run wurde 1667 von England an die Niederlande abgetreten. Diese wiederum überliessen den Briten im Gegenzug New Amsterdam, mittlerweile besser bekannt als Manhattan.

Heute übersteigt allein der Preis eines einzigen Quadratmeters Bauland im Zentrum New Yorks den gesamten Immobilienwert des weniger als 1000 Einwohner zählenden Runs um ein Vielfaches. Dabei schien zumindest zu Beginn die Niederlande vor rund 350 Jahren ein weitaus besseres Geschäft gemacht zu haben als die Engländer. Denn Manhattan war damals – ganz anders als Run – wirtschaftlich eher unbedeutend.

Dem im Frieden von Breda vereinbarten Landtausch waren zwei blutige Kriege vorausgegangen. Gestritten wurde vor allem auch um die damals wertvollsten Güter der Welt: exotische Gewürze. Diese gediehen vornehmlich auf der von den Holländern kontrollierten Inselgruppe der Molukken, zu denen auch Run gehört. Besonders wertvoll war dabei die Muskatnuss, die nur auf Run und den sie umgebenden kleinen Inseln wuchsen.

Der Nuss wurden damals aussergewöhnliche Eigenschaften zugeschrieben. In Europa verabreichte man Muskat etwa zur Heilung der Pest oder auch zur männlichen Potenzsteigerung. Die Nachfrage nach dem Wundermittel überstieg vor vierhundert Jahren das Angebot bei weitem. Eine einzige Muskatnuss kostete mehr als eine Unze Gold. Ihrem Quasimonopol im Handel mit exotischen Gewürzen verdankten Amsterdamer Kaufleute ihren traumhaften Reichtum. Das 17. Jahrhundert wird in Holland bis heute auch das Goldene Zeitalter genannt.

Kein Wunder, dass bald auch die wirtschaftlichen Rivalen der Niederländer an dieser Fülle teilhaben wollten – allen voran die Britische Ostindien-Kompanie, die 1616 Run gegen erbitterten Widerstand der Holländer besetzte. An der Ostküste Nordamerikas wiederum wurden die holländischen Handelsniederlassungen zunehmend von den Engländern bedrängt.

Erschöpft von den zwei Kriegen beendeten die beiden Parteien schliesslich die Feindseligkeiten. Der Friedensvertrag besiegelte den Tausch von Run gegen Manhattan.

Doch so gut wie von Amsterdam erhofft war das Abkommen nicht. Denn die Briten vergassen nicht, Muskatnüsse mitzunehmen, die sie daraufhin in Indien grossflächig anpflanzten. Damit war auch das Handelsmonopol der Niederländischen Ostindien-Kompanie gebrochen. In Run selbst wird heute dieses Gewürz infolge des Preiszerfalls gar nicht mehr angepflanzt.

Sicher ist bei all dem, dass die Bewohner der traumhaften Insel von weniger Stress geplagt sind als die gehetzten Investoren in Wallstreet, dem pulsierenden Herzen des globalen Kapitalismus. Es liegt am Leser zu entscheiden, welche Seite das bessere Los gezogen hat.