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Aufgefallen in… Rom

Besonders unübersichtlich ist der Verkehr vor der Erzbasilika San Giovanni in Laterano.

«Hier fährt ja jeder bei Rot weiter, keiner hält an», ruft ein entnervter Tourist auf dem Lungotevere, Roms stark frequentierter  Uferstrasse, die sich dem Tiber entlang von Norden nach Süden durch die Millionenmetropole schlängelt.

Der Frust ist verständlich. Die mehrspurige Fahrbahn zu überqueren, ist ohne Ampelanlage fast unmöglich – und selbst mit einem Lichtsignal nur wenig sicherer. Wer sich zuvor schon einen Tag lang durch den Verkehr gekämpft hat, um von einer antiken Sehenswürdigkeit zur nächsten zu gelangen, bekommt zwangsläufig diesen Eindruck. Aber das Klischee stimmt nicht: Römer fahren nicht generell bei Rot über die Kreuzung. Es sind nur einige, allerdings tun sie das mit System.

Vor allem drei Kategorien von Autofahrern missachten Artikel 41 Ziffer 2 der italienischen Strassenverkehrsordnung konsequent, der die Funktion der Lichtsignale Rot, Gelb und Grün definiert. Zum einen: die Ungeduldigen. Wer in Rom an der Ampel steht, sieht immer wieder Autos, die mit fortschreitender Rotphase bereits zu rollen beginnen. Die Fahrerin oder der Fahrer scheint nach einer Minute Stillstand die Geduld zu verlieren. Das Auto beschleunigt, bremst aber wieder ab, sobald es sich zu weit auf die Kreuzung vorgeschoben hat. Kurz darauf fährt es erneut an, falls die Ampel immer noch Rot anzeigt, obwohl doch kein Fussgänger mehr die Fahrbahn überquert, fährt schliesslich weiter und den anderen davon.

Dann gibt es die Kalkulierenden. Sie sind die gefährlichste Gattung im Strassenverkehr. Sie bremsen gar nicht erst ab, sondern fahren gleich weiter. Für sie bleibt die Ampel auch bei Rot auf Grün. Das passiert allerdings nicht an allen 1400 römischen Lichtsignalen, sondern nur an bestimmten. Denn für den kalkulierenden Rotüberfahrer sind nicht alle Ampeln gleich wichtig. Als weniger relevant eingestufte werden ganz einfach ignoriert. Das müssen auch nicht immer dieselben Anlagen sein. Nachts zum Beispiel, wenn die Gefahr einer Polizeikontrolle gesunken ist und der Verkehr abgenommen hat, sind deutlich mehr Ampelkreuzungen ihr Ziel als morgens während der Rush Hour.

Diese Unterscheidung trifft die dritte Kategorie potenzieller Verkehrssünder nicht. Man könnte sie als die Regierenden bezeichnen, selbst wenn die wenigsten von ihnen tatsächlich dem Regierungskabinett angehören. Es sind die Luxuskarossen, in denen Politiker, wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ausländische Staatsgäste und Diplomaten durch die Stadt brausen. Häufig begleitet von Sicherheitsbeamten in Zweit- und Drittfahrzeugen und immer in rasantem Tempo. Ampeln werden bewusst ignoriert, wohl weil sie als Risikopunkt für Anschläge eingestuft werden. Häufig aber auch, weil die Fahrer wissen: Einen Strafzettel stellt ihnen sowieso niemand aus.

Die übrigen Verkehrsteilnehmer respektieren die Lichtsignale. Kehren wir also zu unserem Italienreisenden aus dem Ausland zurück, der sich am Strassenrand über das scheinbar chaotische Fahrverhalten wundert. Wie soll er sich idealerweise verhalten? Auf keinen Fall sollte er alle Hemmungen ablegen und sich unabhängig vom Farbsignal in den Verkehr werfen. Viele Touristen tun das, vor allem wenn sie in Gruppen unterwegs sind und sich dort unverwundbar fühlen. Mancher handelt so, weil er meint, damit den mediterranen Lebensstil zu kopieren. Er begeht jedoch einen doppelten Fehler: Er missversteht die lokalen Gepflogenheiten und riskiert dabei erst noch sein Leben.

Genauso wenig sollte er auf seinem Recht beharren, bei Grün loszulaufen. Das Gesetz steht zwar auf seiner Seite. Aber das Risiko ist zu gross, dass ein Ungeduldiger, ein Kalkulierender oder ein Regierender ihm den Vortritt nimmt. Grün für Fussgänger ist immer auch ein bisschen Rot: Im Prinzip ist die Bahn frei, aber in der Praxis kommt stets etwas dazwischen. Wer sich das zu Herzen nimmt, findet sich nicht nur in Roms Verkehr zurecht, sondern versteht auch ein Stück weit das Leben in Italien.