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Aufgefallen in... Indien

«Your coffee, Madame». Der Kellner stellt die dampfende Tasse geräuschvoll auf den Tisch. Ein süsslicher Duft liegt in der Luft. Oben auf dem Schaum schwimmen kleine braune Knollen: ungelöstes Kaffeepulver. Wer in einem der unzähligen Restaurants Mumbais einen Kaffee bestellt, erhält ziemlich sicher einen Nescafé serviert. In der indischen Wirtschaftsmetropole wird der Name praktisch synonym für das Heissgetränk verwendet.

Entsprechend ist ein Espresso ein kleiner Nescafé, ein Cappuccino ein Nescafé mit Milchschaum und ein Latte Macchiato viel Milch mit Nescafé-Geschmack. Ausserhalb der Grossstadt kommt es nicht selten vor, dass dem Gast mit Koffeinmangel heisses Wasser und ein Beutel mit Pulver gereicht werden. Kaffee – oder eben Nescafé – zum Selbermachen.

Die europäischen Besucher, die sich längst daran gewöhnt haben, beim Lieblingsbarista zwischen drei Röststufen und mindestens ebenso vielen Herkunftsorten auswählen zu können, sind irritiert durch das schmale Angebot. Besonders auch, weil Nescafé in der Schweiz nicht gerade den Ruf von Qualitätskaffee geniesst. In der Berghütte liefert er frühmorgens die dringend benötigte Koffeindosis – mehr aber auch nicht. Während sogar Filterkaffee hier und da ein kleines Revival erlebt, würde kaum ein Lokal auf die Idee kommen, das Instantgetränk auszuschenken.

Dabei ist heute – laut Angaben des Herstellers – jede siebte Tasse Kaffee, die weltweit getrunken wird, eine mit Nescafé. Geboren wurde das Getränk aus der Not heraus: Im Krisenjahr 1930 mussten brasilianische Kaffeeproduzenten grosse Teile ihrer Ernte vernichten. Die Nachfrage nach den braunen Bohnen war infolge der grossen Depression, die die USA und Europa erfasst hatte, eingebrochen. Verzweifelt wandte sich die Regierung an die Schweizer, um ihren Kaffee haltbarer zu machen. Nestlé – damals noch ein Kleinunternehmen – hatte sich davor einen ­Namen bei der Konservierung von Frischmilch gemacht.

Nach achtjährigem Tüfteln brachte der Schweizer Lebensmittelchemiker Max Morgenthaler  das braune Granulat in der bekannten Glasverpackung auf den Markt. Seither wurde der sofortlösliche Kaffee stetig weiterentwickelt. Unter der Marke Nescafé verkauft der Konzern heute verschiedene Varianten von Espresso bis Café au Lait – und erwirtschaftet einen Milliardenumsatz.

In den Schwellenländern, allen voran in Asien, sieht Nestlé grosses Potenzial und bewirbt den Markt intensiv. Dampfende Nescafé-Tassen in Übergrösse leuchten entlang der Autobahn. Obwohl Kaffee auf dem indischen Subkontinent seit einigen Jahren auch dank international präsenter Kaffeehausketten wie Starbucks oder Costa Coffee grössere Verbreitung findet, trinken Inder im Schnitt noch immer fünfzehnmal mehr Tee als Kaffee.

Nach China ist Indien der zweitwichtigste Teeproduzent: Rund 1,3 Mio. Tonnen werden jährlich verarbeitet. Gut zwei Drittel davon werden direkt in Indien getrunken, der Rest wird exportiert.  Der sogenannte Masala Chai, basierend auf Schwarztee, wird in Mumbai an jeder Ecke feilgeboten, in der Regel mit einer Gewürzmischung, Milch und Zucker auf­gekocht. Am Strassenrand stehende, Tee trinkende Männerrunden sind keine ­Seltenheit im Stadtbild.

Angesichts der indischen Teekultur überrascht es kaum, dass sich italienischer Kolbenkaffee oder der Baristakult  noch kaum durchgesetzt haben. Ein wichtiger Faktor für die weite Verbreitung des Tees ist auch der Preis: In ländlichen Gebieten kostet ein Glas nur wenige Rappen. Für eine Tasse Nescafé zahlt man in der Grossstadt dagegen schnell einmal ein paar Franken, der Americano im Starbucks kostet fast so viel wie in Zürich.

Doch es gibt eine Alternative. Auf die Frage, ob es denn nur Nescafé gebe, antwortet der Kellner erstaunt: «No, Madame, we do serve Indian Coffee» – traditioneller Filterkaffee, mit Milch und Zucker aufgekocht.