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Aufgefallen in… Almaty

Flaniert man auf den Alleen von Almaty, der grössten Stadt Kasachstans, an einem lauen Frühsommerabend, wähnt man sich nicht in einem islamischen Land. Frauen mit Kopftuch gibt es nur vereinzelt, in Strassencafés wird Bier und Wodka getrunken, und kein Ruf des Muezzins ist zu hören. Nach Schätzungen sind aber knapp die Hälfte bis drei Fünftel der Bevölkerung muslimisch.

Es gibt eine politisch gewollte Festigung des Islams. So konnte man nach der Unabhängigkeit im Jahr 1991 die nationale Identität vom Nachbarn Russland abgrenzen. Daneben ist die kasachische Sprache ein identitätsstiftender Faktor – selbst wenn Russisch in den Städten weiterhin dominant bleibt. Die grossen Moscheen in der Innenstadt Almatys sind erst ab den Neunzigerjahren erbaut worden.

Die neueste Moschee im Stadtzentrum der Metropole mit 1,8 Mio. Einwohnern, die Baiken-Moschee mit einem goldenen Dach (vgl. Bild), wurde gar erst 2014 eröffnet. Der kürzlich abgetretene Präsident Nursultan Nasarbajew setzte mit der Benennung der Moschee ein politisches Statement. Baiken Aschimow war Regierungschef der kasachischen Sowjetrepublik bis 1984. Auch in der steril modernen Hauptstadt Nursultan (bis März noch Astana genannt) im Landesinneren gibt es neben all den modernen Glaspalästen der Staatsbürokratie eine riesige, golden strahlende Moschee. Nasarbajew setzte schon 1990 – damals noch Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kasachstans – ein eigenes Muftiat als oberste Instanz der kasachischen Moslems ein.

Beim Abendessen in dem ruhigeren «oberen Teil» Almatys – das Stadtgebiet reicht von 500 bis 1700 Höhenmetern –  in einem traditionell mit Teppichen eingerichteten Restaurant ist fast jeder Platz schon besetzt. Die 29-jährige Madina, Angestellte bei einer Universität, wundert sich: «Ich bringe Gäste meiner Universität oft hierher. Normalerweise ist es nicht so voll.» Dann fällt ihr ein: «Ach so, es ist ja Ramadan.»

Im Fastenmonat dürfen strenggläubige Muslime von Sonnenaufgang bis -untergang nichts essen oder trinken. Almaty liegt ungefähr auf dem Breitengrad von Florenz. Damit sind die Tage momentan zwar nicht ganz so lang wie in der Schweiz, aber im Ramadan trotzdem eine Tortur. Am Abend wird die Mahlzeit dann ganz selbstverständlich zu einem Fest.

In dem Restaurant werden denn auch an einigen Tischen die Hände mit den Handflächen nach oben im Gebet gehalten. Dabei ist es für Madina anscheinend eine neue Erfahrung, dass das Fastenbrechen so öffentlich und sichtbar praktiziert wird. Es stimme aber mit einem Trend überein, den sie schon länger beobachte, konstatiert sie.

«Viele Bekannte und auch Verwandte suchen eine neue Spiritualität – und die bietet der Islam», sagt sie. So hätten auch ihr Onkel und seine Frau in der postsowjetischen Zeit wenig mit Religion anfangen können. In ihrem höheren Alter gingen sie nun aber oft in die Moschee. «Die Gläubigen werden jährlich mehr. Weniger gut ausgebildete Jugendliche sind leichte Opfer für radikale Sekten» – wie etwa den fundamentalistischen Salafismus.

Das steht dem traditionellen Islam in Zentralasien entgegen. Die dort praktizierte hanafitische Schule, nach dem im 8. Jahrhundert lebenden Abu Hanifa benannt, gilt als mildeste Richtung des Sunnismus. Als Präsident Nasarbajew sich 2017 mit dem obersten Mufti Kasachstans traf, kam denn auch seine Besorgnis um eine Radikalisierung durch: «Wir müssen qualifizierte Imame finden, die die traditionellen hanafitischen Vorschriften und ihre Unterschiede zu den destruktiven Strömungen erklären können.»

Madina betont: «Es gibt moderne Moslems, die sich als Gläubige bezeichnen, aber nicht bereit sind, allen religiösen Vorschriften im Alltag zu folgen.» Schweinefleisch gibt es in dem Restaurant zwar nicht, aber ein heimisches Bier zu bestellen, ist trotz den Fastenbrechern rundherum kein Problem.