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Anleihen haben viele Facetten

Motorradfahren ist gefährlich. Wer die Risiken kennt und richtig einschätzt, ist  relativ sicher unterwegs. Dasselbe gilt für festverzinsliche Anlagen.

Bei der Geldanlage dreht sich vieles um den risikolosen Zins. Damit ist die Rendite festverzinslicher Anlagen gemeint, bei denen die Ausfallwahrscheinlichkeit gegen null tendiert – zum Beispiel Staatsanleihen der Schweizer Eidgenossenschaft. Aufgrund der Marktsituation sollte derzeit aber eher vom zinslosen Risiko die Rede sein. Denn die massiven Zinssenkungen der Zentralbanken nach der Finanz- und Eurokrise verleiten Investoren zu einem riskanteren Verhalten. Im zweiten Teil der zeigt «Finanz und Wirtschaft», was Bondinvestoren in diesem Umfeld berücksichtigen müssen.

Viktor Vorsichtig will ein Anlageportfolio aufbauen. Vergangene Woche hat er sich auf den Aktienanteil konzentriert. Da er auf Sicherheit bedacht ist, möchte er nicht nur in Aktien, sondern auch in Obligationen investieren. Dabei leiht ein Anleger einem Unternehmen für eine bestimmte Zeit Geld und erhält dafür jährlich einen Zins (Coupon). Viktor Vorsichtig mag das, denn er kennt bereits beim Kauf seine Rendite. Sie errechnet sich aus dem Preis, den er für die Anleihe bezahlt, dem jährlichen Coupon und der Laufzeit. Am Ende wird die Anleihe zu 100% zurückgezahlt – ja, die Preise von Anleihen werden in Prozent angegeben.

Zinsstrategien

Die Rendite zu berechnen, bedingt allerdings, dass die Obligation bis zum Ende der Laufzeit gehalten wird. Nur in diesem Fall ist der Rückkaufpreis bekannt. Anleger sprechen in diesem Fall von der Rendite auf Verfall. Das ist für Investor Vorsichtig kein Problem. Kürzlich hat er mit einem Kollegen über die Anlageklasse gesprochen und Folgendes erfahren: Sein Kollege kauft bei Verfall jeweils eine Anleihe mit längerer Laufzeit. So muss er im Schnitt alle Jahre eine bis zwei Anleihen erneuern. Das Risiko wird auf verschiedene Laufzeiten verteilt. Profis sprechen von einer Treppenstrategie.

Alternative Stile heissen Bullet (Kugel) und Barbell (Hantel). Bei der Bullet-Strategie wird alles auf eine Karte gesetzt. Es werden nur Anleihen mit einer bestimmten Laufzeit gekauft. Aufgrund dieser einseitigen Einschätzung ist es eine riskante Strategie, die vor allem dann sinnvoll ist, wenn am Ende der Laufzeit ein grosser Liquiditätsbedarf ansteht. Bei der Hantelstrategie wird ein Teil des Geldes kurz-, der andere Teil langfristig investiert. Der Anleger profitiert von einer mittleren durchschnittlichen Laufzeit. Der Vorteil besteht darin, dass der kurz angelegte Teil des Vermögens nur geringen Wertschwankungen unterliegt und somit verfügbar bleibt.

Aber wie stark kann der Wert einer Anleihe überhaupt schwanken? Bei der Durchsicht des Marktdaten-Teils in der FuW hat Vorsichtig festgestellt, dass beinahe alle Anleihen über 100% handeln. Das macht ihn stutzig, denn bei Fälligkeit werden nur 100% zurückgezahlt.

Aha, denkt sich Vorsichtig. Kaufe ich eine Anleihe unter 100%, bedeutet das zusätzliche Rendite, kaufe ich darüber, reduziert sich die Performance entsprechend. Aber von welchen Faktoren hängt der Preis einer Anleihe überhaupt ab? Vorsichtig analysiert mehrere Faktoren: das aktuelle Zinsumfeld, die Laufzeit, die Qualität der Anleihen und ihre Liquidität.

Zinsumfeld

Systematisch beginnt Viktor Vorsichtig seine Analyse. Als Erstes fallen ihm die Bonds der Schweizerischen Eidgenossenschaft auf. Wenn er sein Geld darin anlegen will, erhält er für zehn Jahre eine Rendite von null, kürzere Laufzeiten rentieren negativ. Nur wenn er sich für 25 Jahre bindet, verdient er 0,5% pro Jahr. Damit deckt er im Normalfall aber nicht einmal seine Depotgebühren. Zudem will der 38-Jährige sein Geld nicht bis zur Pensionierung zu so einem mickrigen Zins anlegen. Schon lange sinken die Zinsen. Damit konnten all diejenigen  gut verdienen, die ihre Anleihen vor Verfall verkauft haben.

Nehmen wir an, Vorsichtig kauft heute eine Anleihe, die fünf Jahre läuft. Er zahlt dafür 100% und erhält jährlich einen Coupon von 3%, was der Rendite entspricht. Ändert sich während der Laufzeit nichts, bleibt das die nächsten fünf Jahre so.

Aber das entspricht nicht der Realität. Sinkt das Zinsniveau nach dem Kauf 1%, geschieht Folgendes: Vorsichtig erhält immer noch seine 3%, wenn er die Anleihe bis zum Ende der Laufzeit hält. Verkauft er allerdings heute, realisiert er einen Kapitalgewinn von 5%. Da er nun aber nur noch mit einer Rendite von 2% investieren kann, ist ein Verkauf gut zu überlegen.

Diese Rechnung erklärt sich folgendermassen: Wer nach der erwähnten Zinssenkung um 1% dieselbe Anleihe kauft, erhält nur noch 2% Rendite. Das ist über fünf Jahre gerechnet 1% weniger pro Jahr, was die Gesamtrendite 5% schmälert. Die Anpassung der Rendite geschieht über den Preis, denn die jährliche Couponzahlung beträgt immer noch 3%. Wer die Anleihe jetzt kauft, erhält jährlich zwar ebenfalls 3%, zahlt dafür aber 105% und erhält am Ende der Laufzeit 100%.

Aktuell tendieren die Zinsen um null oder negativ. Wer heute Anleihen mit Kapitalgewinn hält, sollte einen Verkauf prüfen. Denn genau so, wie Anleihen bei sinkenden Zinsen an Wert gewinnen, verlieren sie bei steigenden Zinsen an Wert – und davon geht der Markt im Moment aus.

Laufzeit

Doch erst wenn die Zinsen tatsächlich steigen, beeinflusst das auch die Kurse der Anleihen. Je länger die Laufzeit, umso stärker die Kursschwankungen. Hätte die Anleihe im obigen Beispiel eine Laufzeit von zehn Jahren, wäre der Preis bei einer Zinsreduktion von 1% rund 10% gestiegen. Als Faustregel für kurze und mittlere Laufzeiten gilt: Die Zinsänderung multipliziert mit der Laufzeit ergibt die Preisänderung. Die exakte Formel ist etwas komplizierter und berücksichtigt zusätzlich die Couponzahlungen. Vorsichtig sollte diese Beziehung immer im Hinterkopf behalten, denn eine längere Laufzeit bedeutet höhere Risiken.

Ein extremes Beispiel findet sich in Österreich. Die Alpenrepublik hat vergangenen September eine hundertjährige Anleihe herausgegeben. Seit Auflegung sind die langfristigen Zinsen nur rund 0,3% gesunken, die Anleihe ist allerdings von gut 100 auf 113% gestiegen und notiert derzeit um 109%. Für Investor Vorsichtig sind diese Schwankungen und damit das Risiko zu hoch, und was bis zum Jahr 2117 geschieht, weiss niemand. Der Kurs dürfte bis dahin noch stark in beide Richtungen schwanken.

Qualitätsmerkmale

Vorsichtig versucht an der Stellschraube Qualität zu drehen. Generell gilt: je besser die Qualität, umso niedriger die Rendite. Mit anderen Worten: Wer in Qualität investieren will, bezahlt dafür auch einen höheren Preis. Das bedeutet bei Anleihen eine niedrigere Rendite. Schon der Volksmund sagt: «Was nichts kostet, ist nichts wert.» Auch einen qualitativ hochwertigen Motorradhelm kauft man im Fachgeschäft und zahlt dafür einen höheren Preis.

Aber wie wird Qualität bei Obligationen gemessen? Mit einem Rating. Das ist die Einschätzung einer unabhängigen Agentur. Sie fasst Zins- und Rückzahlungsfähigkeit der Anleihe eines Unternehmens zusammen. Die Ratingskala geht von AAA als höchster Bonitätsstufe über rund zwanzig Klassen bis D, was Zahlungsunfähigkeit bedeutet. Bis zu einem Rating von BBB– sprechen Anleger von Investment Grade, was anlagewürdig bedeutet. Danach kommt von BB+ bis D der spekulative Bereich. Er wird von vielen Investoren wegen hoher Risiken gemieden.

Was das heisst, zeigt eine globale Auswertung der Ratingagentur S&P, die die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls von Unternehmensanleihen für die Periode von 1981 bis 2016 analysiert hat. Während die Ausfallwahrscheinlichkeit für eine fünfjährige Anleihe mit einem Top-Rating (AAA) bei 0,35% liegt, klettert sie bei einem BB+ Rating (der besten spekulativen Einschätzung) bereits auf 4,08%, ist also mehr als zehnmal so hoch.

Die Schweiz (AAA) wird so denn auch anders eingeschätzt als beispielsweise die Philippinen (BBB), was sich in einer höheren Rendite für das letztgenannte Land niederschlägt. Sie ist nichts anderes ist als eine Entschädigung für das höhere Risiko.

Liquiditätskriterien

Der Risikoaspekt äussert sich auch in der Handelbarkeit der Anleihe, also ihrer Liquidität. Je ausgefallener und risikoreicher eine Anleihe, umso schwieriger kann es sein, sie zu einem attraktiven Preis zu verkaufen. In einem schwierigen Umfeld akzentuieren sich die Risiken. Dies äussert sich in der Spanne zwischen Kauf- und Verkaufspreis (Spread). Ist sie zu gross, vernichtet sie einen Teil der Rendite.

Viktor Vorsichtig bleibt ein vorsichtiger Anleger. Seine Gedanken haben ihm klar gezeigt: Will er bei Anleihen mehr Rendite, muss er zusätzliche Risiken eingehen. Dazu kann er die Laufzeit erhöhen oder die Qualität seiner Anlagen reduzieren. Aber das will er nicht. Das Umfeld ist seines Erachtens unattraktiv. Deshalb entscheidet er sich für einen höheren Bargeldbestand und will erst investieren, wenn die Zinsen auch für kürzere Laufzeiten wieder positiv sind.