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«Am Ende steht meist der Zahlungsausfall»

Türkei bringt Währungen von Schwellenländern ins Taumeln.

Herr Klement, die türkische Währung verliert rapide an Wert. Ist das der Beginn einer breiten Schwellenländerkrise? - Die Türkei ist in einer kritischen Lage. Die Schulden im Ausland belaufen sich nun auf 180% der jährlichen Staatseinnahmen. Der Staat braucht also sehr viel ausländisches Geld, um die Schulden bedienen zu können. Das führt zu einer Spirale, in der die Abwertung der Lira dazu führt, dass der Staat für den Schuldendienst mehr Geld ausgeben muss. Und das wiederum führt zu Ausgabenkürzungen und weniger Wachstum. Die Währung wertet dann weiter ab. Am Ende einer solchen Spirale steht meist der Zahlungsausfall des Staates. So etwas haben wir etwa in Russland 1998 gesehen.

Werden wie damals viele Länder betroffen sein? - Wir sehen jetzt eine allgemeine Schwäche der Schwellenländerwährungen, weil Anleger aus den entwickelten Ländern ihre Aktien und Obligationen von dort verkaufen und ihre Gelder abziehen. Wie in vorherigen Krisen – 1994 die Tequila-Krise in Mexiko und 1997 in Südostasien – fängt es in einem Land an und weitet sich dann in Länder mit ähnlichen Charakteristiken aus. Die gute Nachricht ist aber, dass die meisten ost- und zentraleuropäischen Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn relativ sicher sind. Die sind zwar auch auf Kapital aus dem Ausland angewiesen, aber viele der Auslandsschulden sind in Euro. Das ist weniger problematisch als die türkischen Schulden, die zu einem grossen Teil in Dollar denominiert sind. Ausserdem steht die Wirtschaft dieser Länder stabiler da, und die Inflation ist im Gegensatz zur Türkei unter Kontrolle.

Welches Land kann die Türkei denn mit sich reissen? - Russland wäre ein möglicher Kandidat. Der Rubel ist normalerweise eng mit dem Preis für Rohöl korreliert. Doch nun wertet sich die Währung trotz stabilem Ölpreis ab. Der Rubel reagiert empfindlich auf die Strafzölle und die Sanktionen aus den USA. In den nächsten Wochen werden Aktien, Obligationen und Währungen der Schwellenmärkte unter Druck bleiben. Die Investoren werden skeptisch bleiben und ihr Geld abziehen. Aber ich glaube nicht, dass es ausserhalb der Hochrisikoländer Türkei und Argentinien zu grossen Zahlungsausfällen kommen wird.

Könnte das Fed seinen geldpolitischen Kurs wegen der Turbulenzen in den Schwellenländern ändern? - Nein, in der Vergangenheit hat das Fed seine Geldpolitik nie am Ausland ausgerichtet. Die US-Notenbank kann darauf verweisen, dass es die Aufgabe des Internationalen Währungsfonds ist, Schwellenländer zu retten.

Wie würden weiter steigende US-Zinsen auf die Börse wirken? - Irgendwann werden höhere Zinsen die Aktienkurse in den USA belasten. Aber das wird wohl erst in der zweiten Jahreshälfte 2019 und 2020 geschehen. Für diesen verzögerten Effekt gibt es zwei Gründe. Zum einen müssen die Zinsen noch etwas steigen, bevor sie den Diskontsatz der Anleger und damit deren Investitionskalkül beeinflussen. Zweitens läuft die amerikanische Wirtschaft dank der Steuersenkung im Februar momentan sehr gut. Doch ab 2019 verschwindet dies durch den Basiseffekt. Das Wachstum der US-Unternehmen wird dann auch wieder zurückkommen.

Werden höhere US-Zinsen die Konjunktur abwürgen? - In seiner über hundertjährigen Geschichte hat es das Fed nie geschafft, die Zinsen zu erhöhen, ohne dass es zu einer Rezession oder einem Bärenmarkt gekommen wäre. Aber im Moment ist ein Bärenmarkt wahrscheinlicher als eine Rezession.

Wie sind Ihre Aussichten für die Midterm-Wahlen im November? Droht nicht ein Patt zwischen Republikanern und Demokraten? - Ein Patt wäre super! Je mehr das politische System in den USA festgefahren ist, umso weniger kann schiefgehen. Nach den letzten Umfragen werden die Demokraten das Repräsentantenhaus, die Republikaner den Senat dominieren. Damit können die Demokraten die Kontrolle über Donald Trump sicherstellen. Das hilft, die schlimmsten politischen Exzesse von Trump zu verhindern. Doch selbst wenn die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewinnen, wird Trump in der Aussenpolitik weiterhin freie Hand haben. Er kann also weiterhin Zölle – mit der perversen Begründung der nationalen Sicherheit – einführen und auch einen Krieg anzetteln.

Ist es nicht seltsam, dass der Handelskrieg nicht schon zu grösseren Verlusten an der Börse geführt hat? - Den Effekt sieht man am stärksten am Kursverlauf chinesischer Aktien, weniger in den USA oder Europa. Die Börse Schanghai hat seit Ende Januar über 20% abgegeben. Die Schwellenländer sind der Kollateralschaden des Handelskriegs.

Wie sollte man sich im US-Aktienmarkt jetzt positionieren? - In den nächsten ein bis zwei Jahren sollten klein- und mittelgrosse Unternehmen in den USA besser laufen. Denn die Grossunternehmen sind eher international ausgerichtet und leiden unter dem Handelskrieg und der abkühlenden Konjunktur in China. Von den Sektoren her sollte man sich defensiv positionieren, etwa in Telecomtitel und Versorger.

Würden Sie auch die amerikanischen Technologie-Riesen empfehlen? - Die FAANG-Aktien – Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google – sind klar überbewertet. Man sollte sie nur minimal im Portfolio halten, aber auch nicht dagegen wetten. Man sollte sie so gut wie möglich ignorieren. Wie das Beispiel von Facebook zeigt, ist jederzeit ein massiver Kursrutsch möglich. Ausser Amazon sind die FAANG-Titel alle auf ein Produkt angewiesen. Amazon ist ja nicht nur im Handel aktiv, sondern auch im Cloud Computing. Dagegen hängt Apple am iPhone, Netflix an den Nutzerzahlen und Facebook wie auch Google an der Werbung. Auch bei Google sind dramatische Kursabschläge möglich, falls die Werbeeinnahmen in einem Quartal einmal enttäuschen sollten.

Europäische Aktien sind deutlich günstiger als US-Titel, richtig? - Ja, aber das hängt mit dem Gewinnwachstum in Europa zusammen – das ist deutlich niedriger als in den USA. Amerikanische Aktien sind im Vergleich mit anderen Märkten wie auch im historischen Durchschnitt teuer. Dagegen liegt die Bewertung des europäischen Marktes auf dem langfristigen Durchschnitt.

Wie sollte man in europäische Titel investieren? - In Europa sind seit Anfang Jahr die Zykliker unter Druck. Denn die deutschen Autobauer, Siemens und auch ABB leiden unter der Verschärfung des Handelskriegs. Und die Konjunktur in Kontinentaleuropa hat sich zuletzt rasch abgeschwächt. Die Aufträge an deutsche Fabriken sind im vergangenen Monat um 4% eingebrochen – das ist sehr eindrücklich. Auch hier sollte man sich defensiv positionieren. Doch europäische Gesundheits- und Pharmaaktien sind schon relativ teuer. Eher sind Titel aus dem Telecomsektor und dem nicht-zyklischen Konsum – etwa Nahrungsmittel – zu empfehlen.

Und was halten Sie von Schwellenländeraktien? - Die sind am günstigsten bewertet. Aber dort würde ich noch nicht investieren, da der starke Dollar und die Turbulenzen um die Türkei die Kurse in nächster Zeit belasten werden. Investiert man aber langfristig und nimmt eine starke Schlaftablette, erscheinen die Märkte China, Südkorea und Taiwan bewertungsmässig am attraktivsten.

Wie ist die Stimmung unter den Anlegern? Werden die Risiken richtig eingeschätzt? - Ich denke, die Anleger liegen mit ihrem Optimismus für die USA richtig. Aber sie sind zu optimistisch für Europa, viele haben die Konjunkturabkühlung noch nicht ausreichend realisiert. Für die Schwellenländer sind die Investoren schon pessimistisch. Die Frage ist, ob sie pessimistisch genug sind. Das ist noch nicht klar.

Kann man britische Aktien trotz der Angst vor einem harten Brexit, also einem Austritt Grossbritanniens ohne Einigung mit der EU, kaufen? - Ja, die Bewertungen sind attraktiv, und das Pfund ist sehr günstig. Kommt es zu irgendeinem Deal mit der Europäischen Union, wird das Pfund aufwerten und die Aktienkurse werden sich erholen. Im Moment gehen die Märkte von einer Fifty-Fifty-Wahrscheinlichkeit aus, dass es zu einem harten Brexit kommt. Aber meine Erfahrung aus der Eurokrise ist, dass es die Europäer im letzten Moment immer schaffen, sich zu einigen. Selbst wenn es nur zu einer Verlängerung der Übergangsfrist kommt, würde das für Erleichterung an den Märkten sorgen.

Ist nicht auch ein Risiko für die Börse, dass die Labour-Partei die Macht übernimmt? - Ja, das ist möglich, falls sich die Konservativen zerstreiten und es zu Neuwahlen kommt. Doch den Tories ist dieses Risiko wohl bewusst. Falls Jeremy Corbyn Premierminister wird, würde das sicherlich zu Turbulenzen führen. Immerhin hat er angekündigt, privatisierte Dienstleistungen wieder zu verstaatlichen. Ausserdem würden die Brexitverhandlungen wohl von Neuem beginnen – diese Unsicherheit wäre für britische Unternehmen traumatisch. Doch obwohl Corbyn sehr links ist, würde es wohl genug vernünftige Köpfe in seiner Fraktion geben, dass die radikalsten Ideen selbst bei einer Parlamentsmehrheit von Labour nicht umgesetzt werden.