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Der amerikanische Stratege

Schreibtischkrieger tragen mitunter glänzendere Siege davon als hemdsärmelige Troupiers. Alfred Thayer Mahan war als Kapitän der US Navy im Bürgerkrieg (1861–1865) ein Versager, doch als Strategietheoretiker ein Ass. Seine Schriften lieferten gegen die Wende zum 20. Jahrhundert die intellektuelle Grundlage für den Aufstieg Amerikas zur Seemacht. Das prägt die Welt bis heute.

1890 veröffentlichte Mahan «The Influence of Sea Power Upon History, 1660–1783». Eine geschichtliche Analyse, mit Folgerungen für die amerikanische Aussenpolitik. Die USA hatten sich nach dem Sezessionskrieg nach innen gewandt. Die territoriale Geschlossenheit «from sea to shining sea» war erreicht. Die USA waren primär eine Landmacht (ähnlich wie das Deutsche Reich und das Zarenreich), allerdings eine mit besten Voraussetzungen für maritimes Ausgreifen. Imperialem Denken, wie es u. a. Mahan formulierte, stand in der breiten Gesellschaft eine starke isolationistische Tradition gegenüber.

«Britannia rules the waves», das galt damals, und das Verhältnis Amerikas zum ehemaligen Mutterland war erst am Auftauen. Mahan hielt dafür, dass eine Macht wie die USA zumindest in der Lage sein müsse, ihre Häfen und Küsten wirkungsvoll zu schützen. Er sah den Aufbau einer Navy zudem als Funktion wirtschaftlicher Erwägungen. Die Farmer und die Fabrikanten Amerikas waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Massenproduktion so weit fortgeschritten, dass sie dringend neue Absatzmärkte brauchten (Mahan erachtete auch den gleichzeitigen Aufbau einer leistungsfähigen eigenen Handelsflotte als geboten). Eine schwere Wirtschaftskrise in den 1890er Jahren verstärkte diesen Druck.

Mahan, seit 1885 Dozent am Naval War College in Neuengland, später dessen Präsident, hatte dort den aufstrebenden Politiker Theodore Roosevelt kennengelernt, der ihn zur Abfassung des Buches ermunterte. Roosevelt – und zunehmend vielen weiteren Washingtoner Insidern – leuchtete Mahans Idee ein, dass die USA nicht nur Schiffe brauchten, sondern auch Marinestützpunkte in Übersee, um sich ein ordentliches Stück vom Wohlstand der Welt zu sichern. Ohne Häfen an den Ozeanen (für Mahan eine globale Allmend, jedoch mit erkennbaren Handelsrouten) wären die amerikanischen Schiffe wie Landvögel, sagte er: unfähig, weit übers Wasser zu fliegen. Mahan sah auch den Bau eines Kanals durch die zentralamerikanische Landenge als entscheidend an.

Roosevelt wurde 1897 Unterstaatssekretär für die Navy, und ein Jahr später brach der Spanisch-Amerikanische Krieg aus, den Präsident William McKinley zu verhindern versucht hatte. Der Waffengang war kurz, doch er verschob die Gewichte gewaltig. Spanien verlor die Reste seines morschen Imperiums, die USA wurden zur Weltmacht: Sie kontrollierten nunmehr Kuba, Puerto Rico, Guam und die Philippinen. Ebenfalls 1898 annektierten sie die Inselgruppe Hawaii, die Mahan als ideal bezeichnet hatte, um dort Schiffe zu versorgen (besonders mit dem Treibstoff Kohle) und zu reparieren, überhaupt um in den ganzen pazifischen Raum Macht zu projizieren.

Das sah auch die Führung von Japans Marine so, die Mahans Werk übersetzt und genau studiert hatte. Seit Admiral Togos Sieg über die Russen 1905 bei Tsushima stand fest, dass den USA am gegenüberliegenden Ufer des Pazifiks ein industriell rasch aufholender Rivale erwuchs. Kein Zufall, dass das vielleicht unvermeidliche Kräftemessen 1941 mit Japans Angriff auf Pearl Harbor begann. Der europäische Parvenu wiederum, das Deutsche Reich, liess sich ebenfalls von Mahans Diktum leiten, dass die Welt beherrscht, wer die Meere beherrscht; Kaiser Wilhelm und Admiral Tirpitz begeisterten sich für den amerikanischen Strategen und sahen Deutschlands Zukunft auf dem Wasser (sie fiel dann ins Wasser). Berlins Marine-Aufrüstung setzte die Briten unter Zugzwang, was dem Rapprochement mit den USA nachhalf.

«Teddy» Roosevelt wurde 1901 Nachfolger des ermordeten McKinley. In seine frühe Amtszeit fiel eine Änderung des Vertrags mit den Briten, der den USA gestattete, am Isthmus einen eigenen Kanal zu bauen, wovon die beiden Seiten zuvor einvernehmlich Abstand genommen hatten. Der als Konteradmiral pensionierte Mahan kriegte es gerade noch mit, als im August 1914 der Panama-Kanal eröffnet wurde – und in Europa die Kanonen losdonnerten.

Heute sind Mahans Schriften geschätzte Klassiker an den Militärakademien der Welt. Auch in Indien oder China, den beiden alten-neuen Mächten, die ihre Kapazitäten zur See forciert ausbauen: die Inder gegen China, die Chinesen gegen Amerika. In China wird übrigens ein Projekt studiert, einen eigenen Kanal zu bauen – durch Nicaragua.