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Bankenunion in Zeitlupe

Blick auf das Finanzzentrum in London.

Spätestens seit der Zypernkrise ist für Investoren klar, woher der Wind weht: Banken müssen in einer Krise untergehen können, ohne das ganze Bankwesen mit in den Abgrund zu reissen und ohne den Steuerzahler erpressen zu können. Während der Krise wurde das normale Kapitalhierarchieprinzip aus Furcht vor einer Ansteckung im Bankensystem ausgehebelt. Irland zum Beispiel durfte auf Anweisung der Europäischen Zentralbank (EZB) vorrangige Gläubiger nicht an den Bankverlusten beteiligen. Umgekehrt gab es im Fall Zypern zu wenig Anleihenkapital, um die Umschuldung zu finanzieren, weshalb auch Einlagen einbezogen wurden.

Am Mittwoch haben die EU-Finanzminister nun die Rangfolge der Beteiligung an Verlusten europaweit festgelegt: zuerst Aktionäre, dann Obligationäre und Einlagen über 100’000 €. Einmal mehr erhalten die Mitgliedstaaten aber – auf Druck von Frankreich und Grossbritannien – mehr Gestaltungsspielraum. Für den Markt heisst das: mehr Unsicherheit.

Politik der sehr kleinen Schritte

Die bisherige Entwicklung der Bankenunion ist in guter EU-Manier eine Chronik von Kompromissen, die meist weniger liefern, als erwartet wurde, aber doch genug, um einen Schritt nach vorn zu kommen. Die Finanzkrise ist vor fünf Jahren ausgebrochen, und noch immer bauen die Banken ihre gargantuesken Bilanzen ab, während ihr Eigenkapital angesichts der Schulden in den Augen vieler Experten noch immer kein solides Fundament bietet.

Die Frage ist daher, ob eine Politik der sehr kleinen Schritte genügend schnell kommt – ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, d.h. noch vor der nächsten Bankenkrise. Nachdem die Bankenunion Ende Juni 2012 beschlossen worden war, wurde im April dieses Jahres die gemeinsame Aufsicht durch die EZB ab 2014 aus der Taufe gehoben. Dieser erste Baustein war bereits ein Kompromiss: Von der EZB direkt beaufsichtigt werden systemkritische Banken, die gut 80% der Bilanzsumme aller Banken in der Eurozone ausmachen.

Gefahr ausufernder Ausnahmen vom Bail-in

Und mit einem Kompromiss geht es weiter bei den Abwicklungsregeln: Zwar müssen mindestens 8% der gesamten Verpflichtungen über den Einbezug der Gläubiger (ohne Einlagen unter 100’000 €) abgeschöpft werden, bevor zur Tilgung von Bankschulden in die nationalen Abwicklungsfonds gegriffen werden kann. Doch die Staaten können unter gewissen Bedingungen Kreditoren ausnehmen. Staaten dürfen nicht mehr als 5% der Gesamtverpflichtungen einer Bank aus der eigenen Tasche bezahlen. Doch je nach Grösse der Bank sind 5% eine gewaltige Summe. Die Bilanzsummen der Grossbanken überschreiten in vielen Ländern der EU – vor allem in Frankreich, den Niederlanden, Grossbritannien und in Deutschland – die jährliche Wirtschaftsleistung. Ein Staat könnte daher gezwungen (oder willens) sein, ein Vielfaches von 5% des BIP aufzuwenden, um eine systemisch relevante Bank zu retten – und die eigene Volkswirtschaft. Damit wäre der Explosion der Staatsverschuldung über die Rettung von Banken weiter Tür und Tor geöffnet.

Auch hier erweist sich der europäische Rettungsfonds ESM als Kristallisationspunkt des politischen Willens und der EU-typischen Entscheidungsfindung. Gemäss dem französischen Finanzminister Pierre Moscovici soll der ESM im jüngsten Entscheid ausdrücklich als Finanzierungsquelle der Abwicklung eingeschlossen sein. Wer aber erwartet hatte, dass nun endlich klar ist, ob und wann Eurobanken direkt vom ESM Kapital erhalten können, wird sich höchstens bewusst, wie hart hier noch immer um jeden Meter gekämpft wird.

ESM-Direkteinspritzung stottert

Als die Bankenunion vor ziemlich genau einem Jahr beschlossen wurde, forderte Deutschland, dass sie einen operativen Rahmen haben müsse, bevor der ESM diese Kompetenzen erhalten würde. Auf der Internetseite des Bundesfinanzministeriums heisst es nach wie vor, die Staats- und Regierungschefs der Eurozone hätten am 29. Juni 2012 lediglich einen Grundsatzbeschluss für den Fall gefällt, dass «Haftung und Kontrolle durch die Einführung einer effektiven europäischen Bankenaufsicht gewährleistet ist». Zudem müsse der Beschluss einstimmig fallen und von deutscher Seite nur nach Ermächtigung durch den Bundestag.

Dass die bisher eingeschlagenen Eckpfeiler der Bankenunion – gemeinsame Aufsicht und nun gemeinsame Regeln – bereits eine genügend effektive Struktur liefern, darf bezweifelt werden. Einigkeit besteht bisher offenbar nur darin, dass alle unbesicherten Anleihen am Verlust beteiligt sein müssen, bevor der ESM aktiv werden kann.

Die Eurogruppe hat sich am 21. Juni auf eine Veränderung des ESM-Vertrags geeinigt, wonach 12% des ESM-Kapitals für direkte Kapitalhilfen an Banken zur Verfügungen stehen sollen. Sollten die 12% ungefähr den Erfüllungsgrad der Bedingung aus deutscher Sicht spiegeln, wird klar, wie weit der Weg noch sein wird, bis der ESM den Teufelskreis von schwachen Staaten, die schwache Banken stützen müssen, durchbrechen kann.

Jedenfalls ist dieser Kapitaleinsatz nicht die Bazooka, die man sich vor einem Jahr vorgestellt hatte. Und zweitens müssen selbst hier noch die Parlamente zustimmen. Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Regierung gerügt hatte, genau auch in den ESM-Verträgen das Parlament zu wenig involviert zu haben, wird es sich dieses nicht nehmen lassen, ganz genau hinzuschauen und ausführlich zu debattieren. In deutschen Foren wird diese Debatte bereits geführt, ganz besonders auch das «Detail», dass der ESM offenbar auch rückwirkend Geld einschiessen dürfte. Das endgültige Urteil zum ESM aus Karlsruhe wird erst im Herbst vorliegen.

Abwicklungsbehörde ist noch Utopie

Mit dem Entscheid vom Mittwoch kann die Kommission nun zwar dazu übergehen, ein EU-weites Abwicklungssystem vorzuschlagen – die Direktive dazu sollte im Juni erlassen werden. Nun wird erwartet, dass die Kommission nächste Woche einen Gesetzentwurf verabschiedet, der eine engere Verzahnung der nationalen Abwicklungsfonds vorsieht.

Die gordischen Knoten liegen hier in der Bildung einer gemeinsamen Abwicklungsbehörde, die Banken schliessen kann, sowie eines Abwicklungsfonds, der dies finanzieren soll. Wo Behörde und Fonds angesiedelt wären, ist noch ebenso unklar, wie beide umstritten sind. Deutschland tut sich schwer damit, Souveränität in Sachen Abwicklung zu delegieren, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble in der «Financial Times» klargemacht hatte. Er plädierte darin dafür, mit einem Netzwerk nationaler Abwicklungsbehörden zu beginnen und für die Schaffung einer EU-weiten ­Behörde die EU-Verträge anzupassen, was Jahre in Anspruch nehmen würde.

EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré fordert indes eine unabhängige Abwicklungsbehörde auf EU-Ebene (Single Resolution Authority, SRA) mit genügend Kompetenzen. Eine schiere Koordination der nationalen Behörden könne «promptes und entschiedenes Eingreifen» nicht garantieren. Diesen Pfeil dürfte Coeuré an die Adresse des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble abgeschossen haben. Die SRA müsse – zweitens – mit genügend finanziellen Ressourcen ausgestattet sein, ähnlich der FDIC in den USA, der zu diesem Zweck eine Kreditlinie beim Schatzamt zur Verfügung stehe.

Abwicklungskosten fallen am ehesten bei den Staaten an

Die EU hatte eigentlich vorgesehen, dass ein solcher Fonds in guten Zeiten durch Banksteuern gespeist wird. Sowohl der Umfang dieser Fonds als auch die Berechnung der Beiträge für jede Bank sind umstritten, ebenso, ob es eine Nachschusspflicht für Banken gibt.

Am klarsten abzuzeichnen scheint sich daher, dass die Länder über Steuern eigene Fonds für die Abwicklung und den Einlagenschutz aufbauen müssen, insgesamt 1,3% der Bankeinlagen. Bleibt dies der stärkste Pfeiler der Bankenunion, hätte das Brimborium um Aufsicht und Abwicklung der Banken nur darüber hinweggetäuscht, dass schliesslich doch jeder Staat selbst für abzuwickelnde Banken zahlen muss.