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Afrikanische Kunst erobert die Welt

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In ihren Werken klebt Nike Davies Okundaye oft winzige Glasperlen auf die Leinwand.
In der African Artist’s Foundation (AAF) in Lagos erwarten den Besucher stets neue Überraschungen. Wie das Objekt eines lokalen Künstlers auf der efeubewachsenen Mauer im Innenhof.
In ihren Werken klebt Nike Davies Okundaye oft winzige Glasperlen auf die Leinwand.

Lagos, ein Donnerstagabend im Dezember. Ein grosses Publikum wohnt der Preisverleihung der National Art Competition 2016 bei. Sieger der neunten Auflage ist Godwin Uzoji (42), der ein Flüchtlingszelt aus vergoldeten, im Licht schimmernden Kokosnüssen gestaltet hat.

Die Skulptur «Homelessness, Despair and Hope» repräsentiert aufs Beste die Charakteristiken der zeitgenössischen Kunst in Afrika: Verwenden und Recyceln von Materialien, Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, Suche nach Metaphern. «In Bezug auf Kunst ist Lagos heute das afrikanische New York. Die Leute strömen von überall hierher, um in der Metropole erfolgreich zu sein», erklärt ein Besucher.

Die Organisatorin des Wettbewerbs, African Artists’ Foundation (AAF), empfängt die Gäste in einer prächtigen Galerie in einer Villa im Stadtzentrum. Künstler, Mäzene und Prominenz sorgen für eine elektrisierende Ambiance.

Hinter dem Spektakel steht der Nigerianer Azu Nwagbogu, der 2007 die AAF in Lagos gegründet hat. Art Basel Miami, Photo Vogue Festival in Mailand, Pariser Messe AKAA (Also Known As Africa) – Azu Nwagbogu hat ein intensives Jahresende 2016 hinter sich, welches das steigende Interesse an afrikanischen Künstlern widerspiegelt.

Für ihn beschränkt sich die zeitgenössische Kunst Afrikas nicht auf die Wurzeln der Kunstschaffenden. «In einer globalisierten Welt, wo alle Kulturen sich berühren, geht afrikanische Kunst über die Grenzen des Kontinents hinaus und umfasst ein viel breiteres Spektrum. Diese Öffnung ist ein faszinierender Teil der afrikanischen Kreation.»

Die Wirtschaftsmedien sind sich einig: Afrikanische Kunst boomt. Einige Beobachter sagen die gleiche Begeisterung voraus, mit der vor fünfzehn Jahren die chinesischen Künstler aufgenommen wurden.

Noch sind die Preise günstig. Das «Wall Street Journal» zitiert Giles Peppiatt des Auktionshauses Bonhams, wonach Werke der angesagtesten Künstler noch ab 150‘000 Dollar zu haben sind. Aber die Preise schiessen schnell in die Höhe. So sind sie etwa bei Bonhams zwischen 2014 und 2015 um 50% gestiegen.

Ayo Filade (26), nigerianischer Künstler mit Diplom der Uni Nottingham, zeigte dieses Bild in der Galerie Omenka an einer Schau zum Hyperrealismus.

Erstmals ein Gemälde für eine Million Dollar

1:54, die Londoner Messe für zeitgenössische afrikanische Kunst, verdeutlicht diesen Trend. Gründerin Touria El Glaoui pflegt intensive Kontakte mit der Tate Modern», erklärt Nicolas Galley, Direktor des Studiengangs «Executive Master in Art Market Studies» an der Universität Zürich.

Hinweis auf das steigende Fieber ist auch die Tatsache, dass ein Bild des in Nigeria geborenen und in den USA lebenden Njideka Akunyili Crosby im vergangenen November von Sotheby’s für eine Million Dollar verkauft wurde – ein Rekord.

Wie erklärt sich dieser Erfolg? «Njideka Akunyili Crosby profitiert zweifellos vom Basquiat-Effekt. 1988 verstorben, ist Jean-Michel Basquiat heute einer der teuersten Künstler. Väterlicherseits aus Haiti stammend, arbeitete er mit Techniken, die auch auf seine anderen afrikanischen Wurzeln hinweisen, und kombinierte diese mit amerikanischen Einflüssen.

Es macht den Anschein, als ob die Kunstwelt heute auf der Suche nach einem neuen Basquiat ist. Njideka Akunyili Crosbys Arbeiten sind ein Zusammenspiel seiner nigerianischen Herkunft und amerikanischer Ausbildung. Seine farbenfrohe Malerei, ein Mix von Figurativem und Abstraktem, entspricht ganz dem Zeitgeist.

So stellte der Hip-Hop-Musiker Drake Njideka Akunyili Crosby ins Rampenlicht, als er in der New Yorker Galerie S/2 von Sotheby’s eine Show veranstaltete. Azu Nwagbogu relativiert diese Begeisterung. «Kunstmarkt und Kunstwelt sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Damit das Phänomen anhält, müssen Qualität und Inhalt die Kritik überzeugen. Es geht jetzt darum, die intellektuellen Instrumente zu nutzen, um afrikanische Kunst verstehen zu lernen. Diese Etappe ist notwendig, um vom internationalen Publikum besser wahrgenommen zu werden.»

Den Grundstein dazu legt Azu Nwagbogu mit der Lancierung von Art Base Africa, die sich als Diskussionsplattform für Kunstkritiker definiert. Für die neue Generation ist die Zeit der Stammesmasken, der geflochtenen Körbe und Schnitzereien längst passé.

Die junge, in Lagos lebende Fotografin Jenevieve Aken, die ihre Kunst in Europa und New York gezeigt hat, entwickelt einen Stil, der in manchen Aspekten an Cindy Sherman erinnert. Sie nahm am Festival LagosPhoto teil, das 2010 von Azu Nwagbogu gegründet wurde und das heute die grösste Fotoausstellung Afrikas ist.

Jenevieve Aken zeigte die Installation «Great Expectations», zu der sie sich von einem Roman von Charles Dickens inspirieren liess. Die Künstlerin untersucht die Weise, wie die Heiratstradition sich auf die persönliche Entfaltung der Frau auswirkt.

Gibt es für sie Besonderheiten der afrikanischen Kunst? «Ich beschäftige mich vor allem mit Lebensweise, Feminität und der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Das ist eine viel wichtigere Dimension als die Tatsache, dass ich eine afrikanische Künstlerin bin. Es ist das Ziel jeder Kreation, das Universelle zu berühren.»

Ein weiterer Künstler, der die Ehre hatte, an LagosPhoto auszustellen, ist der Kenianer Cyrus Nganga Kabiru. Er gestaltet Brillen aus Abfall, den er in den Strassen von Nairobi gesammelt hat. Die Brillenskulpturen der Serie «C-Stunners» könnten aus einem Science-Fiction-Film stammen und dienten als Vorlage für Zeichnungen, Fotos und Installationen.

Der junge Kenianer Cyrus Kabiru verwendet auf der Strasse gefundene Materialien, wie hier für die Skulptur Morocco Castle von 2015.

2015 nahm Cyrus Nganga Kabiru an der Pariser Ausstellung «Lumières d’Afrique» sowie «Making Africa, A Continent of Contemporary Design» im Vitra Design Museum in Weil am Rhein teil.

Eine neue Abteilung Afrika bei Sotheby’s

Parallel zur künstlerisch eher diffusen AAF leisten Galerien wahre Pionierarbeit. Etwa Omenka, die mittlerweile renommierteste Adresse in Lagos. Inhaber Oliver Enwonwu ist der Sohn von Ben Enwonwu, eines der ersten Reprä- sentanten der modernistischen afrikanischen Bewegung der postkolonialen Ära.

2003 eröffnete er im Haus seiner Familie eine eigene Galerie und nimmt seither an internationalen Ausstellungen und Messen teil. «Die Anzeichen für eine Explosion afrikanischer Kunst mehren sich. Eine Vorreiterrolle in diesem Bereich nimmt seit 2009 das Londoner Kunstauktionshaus Bonhams ein, dessen Division Modern and Contemporary African Art immer mehr Sammler anzieht. Und Sotheby’s will 2017 eine neue Abteilung für afrikanische Kunst eröffnen.»

Auch diverse Institutionen zollen der afrikanischen Kunst Tribut. Einer der bekanntesten afrikanischen Künstler, der 72-jährige Ghanaer El Anatsui, hat den grössten Teil seiner künstlerischen Karriere in Nigeria erlebt. Der Plastiker kreiert monumentale Wandteppiche aus Tausenden Flaschenkapseln.

2015 wurde er an der Biennale von Venedig für sein Lebenswerk geehrt. Eine der Grossen ist auch Nnenna Okore, 41. Die in Australien geborene Künstlerin lebt in Nigeria und den USA und lehrt an amerikanischen Universitäten. Sie erregt mit ihren riesigen, aus Textilien gefertigten Skulpturen viel Aufsehen.

In Nigeria mangelt es an Museen. Nike Davies-Okundaye ist in die Bresche gesprungen, indem sie dem Publikum in ihrer Nike Art Gallery Tausende Arbeiten zugänglich macht. Die Künstlerin und wichtige Figur der afrikanischen Kulturszene hat mit dem Erstellen eines Verzeichnisses traditioneller Muster und Motive begonnen, die in ländlichen Gebieten verwendet werden und allmählich in Vergessenheit geraten.

«Ich habe als Sechsjährige mit dem Weben begonnen und organisierte meine ersten Ausstellungen in meinem Schlafzimmer», erzählt die Matriarchin. «Chief Nike» blickt auf eine eher ungewöhnliche Laufbahn zurück. Sie wuchs in einem Dorf auf, ging nicht regelmässig zur Schule und ist heute eine begehrte Rednerin an den renommiertesten Universitäten, von Harvard bis Columbus.

Ihre Kunstkollektion beinhaltet einige grosse Schätze. Die Bilder des Veteranen Bruce Onobrakpeya, der in seiner 50-jährigen Karriere auch an der Londoner Tate Modern ausgestellt hat, sollte man sich nicht entgehen lassen.